piwik no script img

Wahre Liebe für Dixie

■ Trotz eines 3:3 gegen 1860 München scheint die Werder-Familie therapiert

Bremen (taz) – Wahre Liebe unter Männern: Drei Minuten vor Schluß, die Zuschauer im Weserstadion stimmen sich schon auf die üblichen „Dörner raus!“-Gesänge ein, segelt eine lange, lange Flanke von rechts ans gegenüberliegende Strafraumeck der 60er, Andy Herzog zieht durch, trifft aber nicht voll, der Ball kriegt einen irrwitzigen Topspin, dotzt drei Meter vor dem Schützen auf und segelt in hohem Bogen ins Netz. 3:2 für die Bremer, endlich der Sieg, endlich! Herzog läuft auf die Südtribüne zu, schreit dreimal laut „Scheiße!“, rennt dann los in Richtung Bank – um Trainer Dörner zu herzen und zu kosen, hebt ihn hoch, die halbe Mannschaft kommt hinterdrein. Fehlte nur noch, daß das Präsidium von der Tribüne hüpft und mitschmust. Eine Demonstration: Seht her, das sind WIR, und WIR schaffen's, wieder raus aus dem Bremer Jammertal, aus der ewigen Trainerdiskussion, aus dem Meer von Pfiffen und Schmährufen und ätzenden Medienkommentaren. Und das Volk singt selig.

Leben heißt Hoffen, besonders im gebeutelten Bremen. Als sei eine Zentnerlast von der Fan- Seele genommen. Um zwei Minuten später um so donnernder wieder herniederzusausen. Die letzte Ecke der 60er, Trainer Lorant jagt den fiebrig schwächelnden Bodden aufs Feld. Und der wickelt sich irgendwie um seinen Gegenspieler Bode. 3:3, Abpfiff, und die Bremer freuen sich über neue Haßobjekte. Über Wochen hatten die Werder- Oberen immer und immer wieder betont, daß es allein an Dörner nicht liegen könne.

Jetzt hat's das Volk begriffen. Als die Grünweißen bedröppelt in die Kabine schlichen, sang das Volk „Ihr seid zu blöd“. Schlecht gespielt, den sicheren Sieg verschenkt, in der zweiten Halbzeit trotz 2:1-Führung wieder eingeknickt und die Hosen voll, der alte Angsthasenfußball, gnadenlose Torwartfehler, enttäuschte Spieler, wütende Fans, Reporter, die Dörner auf Schritt und Tritt verfolgen – gute Voraussetzungen für eine Trennung.

Und trotzdem scheint die Trainerdebatte in Bremen vorerst vom Tisch zu sein. Zwei Minuten samstäglicher Glückseligkeit, Therapie für die Werder-Familie, Waffenstillstand an der Medien-Front. Vorerst. Leben heißt Hoffen, besonders in Bremen. J.G.

TSV 1860 München: Meier – Fach – Kientz (89. Bodden), Walker – Heldt (63. Borimirow), Stevic, Nowak, Pele, Bender (83. Malz), Cerny – Winkler

Zuschauer: 22.000, Tore: 0:1 Bender (5.), 1:1 Herzog (25./Foulelfmeter), 2:1 Walker (39./Eigentor), 2:2 Borimirow (65.), 3:2 Herzog (87.), 3:3 Bodden (89.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen