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Abteilungsleiter tunnelt Andy

Dem darbenden Ostseebad Warnemünde ist hauptsächlich Nostalgie geblieben: Das 0:8 im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund sieht man als Imagewerbung  ■ Von Jörg Winterfeldt

Warnemünde (taz) – Die Reise war rein dienstlich. Der Champions-League-Gewinner Borussia Dortmund hat am Donnerstag abend 8:0 im DFB-Pokal beim SV Warnemünde gewonnen, aber „leider nichts“ vom Badeort gesehen. Das gestand Deutschlands Fußballer des Jahres, Jürgen Kohler.

Sie haben auf dem Sportplatz der Gastgeber üben dürfen, direkt hinter den Dünen, aber trotz Hitze und Hochsaison den Weg an den Strand nicht gefunden. Sie haben hoch oben im nobelsten Hotel des Ortes über dem Meer und der Stadt logiert und keinen Blick gehabt für die Kulisse. Der Beruf bedingt die Blindheit des Kickers Kohler samt Kollegen: Maßlos süchtig nach Ehrgeiz und Erfolg, Training und Tantiemen, entgeht ihnen zuweilen das wahre Leben.

Warnemünde ist es allerdings gewohnt, mit seinen Belangen links liegen gelassen zu werden: 1323 wurde der Küstenort kurzerhand von der reichen Stadt Rostock eingekauft, um den strategisch wichtigen Zugang zur Ostsee dauerhaft zu gewährleisten.

1585 verbot die Hansestadt den Warnemündern im puren Protektionismus beinahe jegliche Gewerbeausübung. Heute nun stöhnt die aktuelle Werbebroschüre des Ortes, „die Immobilienpreise“ hätten „ein Niveau erreicht, das so manchen alten Warnemünder zu vertreiben droht“.

Zudem ist die gesamtdeutsche Popularität des Bades weit niedriger, als sie es im Honecker-Staat war, in dem Papa Erichs „Feriendienst“ die begehrten Urlaubsreisen nach Warnemünde als Gratifikation ausloben durfte und dem Bad die hundertprozentige Auslastung garantiert war.

Weil von den Zeiten nur Nostalgie geblieben ist, freut sich der Ort an der Warnowmündung inzwischen über jegliche Imagewerbung. Daß allerdings ausgerechnet die Verbandsliga-Fußballtruppe einmal dafür sorgen sollte, neben Hanse-Sail, Beach-Volleyball- Turnieren und Drachenfesten zur Warnemünde Popularität beizutragen, hätte sich niemand im Ort träumen lassen.

Für die fünftklassigen Balltreter ist Fußball eine Spaßsache. Der Kapitän Thomas Finck wurde mit dem übermächtigen Nachbarn Hansa 1991 letzter Ost-Meister und nach der Qualifikation für die Bundesliga ausgesondert. „Damals“, sagt er, „hat man dauernd unter Druck gestanden, weil man mit Fußball sein Geld verdient hat.“ Heute bildet er in einer Bank Lehrlinge aus, und als er nun doch einmal gegen Borussia Dortmund antreten durfte, „konnte ich das total genießen“. Er sei inzwischen, sagt er, „Volkssportler“.

Beim Kontrahenten Kohler machte er ein umgekehrtes Phänomen aus: Der ist zunächst mächtig eingestiegen für den Nachweis der Herrschaftsverhältnisse, so daß Fincks Mitspieler Borgwardt einige Male gepeinigt im Gras endete. „Aber der Kohler“, dünkt es Finck dennoch nach dem Rasen- Smalltalk, „scheint ein netter Kerl zu sein, nur standen die hier doch auch unter Druck“ – seit dem Pokalsieg 1989 kam der BVB nicht mehr über das Viertelfinale hinaus.

Vielbejubelt erzielte Fincks Ensemble zwar nach drei Minuten den ersten Eckball der Partie, doch konnte der nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Sousa wieder hinter den Spitzen positionierte Andreas Möller mit zwei Toren schon bis zur elften Minute den Seinen die Anspannung nehmen, die hinter der Angst lauerte, sich zu blamieren.

„Das ganze Drumherum“, schwärmt Warnemündes Abwehr- Routinier Peter Schlesinger, „hat gefetzt“: die Kulisse von 6.200 Leuten im vom Hansa ausgeliehenen Ostseestadion, die ruhmreichen Gegner, das Medieninteresse. Am Dienstag abend hat Schlesingers Team zur Gaudi zweier Kamerateams sogar einen kurzen Beach- Kick zwischen den Strandnackedeis eingeschoben. Vormittags hatte er sich von einem Fernsehtrupp zur Arbeit begleiten lassen: Schlesinger schafft im Seehafen Rostock als Festmacher.

Manchmal gibt es Tage, da hat er als Abteilungsleiter „14, 16 Stunden körperlich so schwer gearbeitet, da überlegst du, ob du, statt Training, nicht einfach in der Badewanne sitzen bleibst und alles wegplätschern läßt“. Wenn er noch jung wäre, sagt er, hätte er sich „gegen Dortmund so richtig den Arsch aufgerissen – wie leicht rutscht man rein in den Beruf, wenn dich der Richtige sieht“. Auch so hat Schlesinger, der in der DDR-Oberliga für Vorwärts Stralsund und Schiffahrt Hafen Rostock spielte, eine gute Partie gemacht.

Als er bemerkte, daß es den jungen Mitspielern vorne am Mumm zur Attacke gegen die TV-Stars mangelte, steuerte er zwischenzeitlich, trotz seiner 37 Jahre, auch offensive Beiträge bei. Daheim verfolgt der Familienvater mit vier Kindern gespannt, wie die Stadt Rostock gerade seine Seehafen Umschlagsgesellschaft komplett verhökern will. Während in Dortmund existentielle Fragen darum kreisen, ob Herr Möller nun Stürmer ist oder nicht oder eine Ablöse von 21 Millionen Mark für Fabrizio Ravanelli angemessen, schwant Schlesinger, daß ihm beruflich wirkliche Ungewißheit blüht. Einige seiner Mitspieler sind bereits arbeitslos, andere Umschüler.

Sein Coach Harry Krause war einst zehn Jahre lang Jugendtrainer bei Hansa. Als er 1991 vom damaligen Präsidenten Gerd Kische plötzlich aussortiert wurde, mußte der Leipziger Sporthochschulabsolvent Krause umsatteln: Nach seiner Ausbildung zum Versicherungsfachmann verschachert er heute als Selbständiger Assekuranzen. „Als Fußballtrainer mein Geld zu verdienen“, gesteht der Warnemünder Fußballtrainer Krause gleichwohl, „wäre mein Traum.“ Nicht ohne Stolz nahm er gegen den BVB auf dem Sitz Platz, der sonst Hansas Ewald Lienen gebührt.

Nach der Partie, als die gehetzten Dortmunder Stars längst im Flieger hockten, haben die Warnemünder alle zusammen erst angefangen zu feiern. Trotz der acht Tore oder gerade weil es acht waren. Nur acht. Und Libero Schlesinger hatte zwischen all den täglichen Sorgen wenigstens ein fußballerisches Glückserlebnis: „Ich habe Andy Möller getunnelt“, ließ er wissen, „mit Ansage.“

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