: Maggi gehört zu Deutschland wie Coca-Cola zu den USA. Zwar hatte die Flasche mit der berühmten Plörre schon 1887 Premiere. Aber vor genau hundert Jahren, am 17. August 1897, trug Firmengründer Julius Maggi seine Firma ins Handelsregister ein. Ursprünglich wollte der Sozialist Maggi nur die darbenden Arbeiter ernähren. Herausgekommen ist ein Lebensmittelimperium Von Manfred Kriener
Mother's little helpers
Vater, mein Vater!
Ich werde nicht Soldat,
dieweil man bei der Infantrie
nicht Maggi-Suppen hat.
(Frank Wedekind)
Papa hat's getan, Mutti hat's getan, also griffen auch die Kinder beherzt zu der gelb-roten Vierkantflasche, die so einen schönen braunen Strahl in den Teller spie. Mit jeder Suppe stand sie so selbstverständlich auf dem Tisch wie Brot und Salz. Es schmeckte nach zwei Spritzern nicht unbedingt besser, aber irgendwie würziger, und man konnte mit dem Löffel so wunderbare Schlieren durch die Suppe ziehen. Das Essen wurde bunter. Und es gluckerte. Manche wurden süchtig. Jahrzehnte später, als Maggi in den Berliner Wohngemeinschaften längst auf dem Index stand, gab es immer noch Würze-Junkies, die ihr Frühstücksei nur „mit Schuß“ verzehrten und bei Suppen und Gemüsen wie dressiert zur Flasche griffen, ohne auch nur zu probieren. Die Maggi-Flasche gehört zu Deutschland wie Coca-Cola zu den USA. Joseph Beuys hat sie in einem Objekt verewigt, Wedekind hat sie bereimt. „Sie ist Archetyp in Form und Substanz, Elixier im modernen Industriezeitalter, tropfend und klebrig“, schrieb der Frankfurter Künstler Thomas Bayrle. Aber vor allem war sie Küchen-Grundausstattung jeder anständigen Hausfrau, und: Sie war ein früher Triumph des Markenartikels. Die Maggi-Flasche wurde zum ersten perfekten Product placement mit Werbung und Design. Daß ihr Erfinder Sozialist war und am Ende des vorigen Jahrhunderts zunächst nur die Ernährungskrise der Arbeiterschaft im Auge hatte, ist die würzige Pointe dieser deutschen Flasche.
Eigentlich kommt sie aus der Schweiz. Julius Maggi war ein Müllerssohn aus Frauenfeld im Kanton Thurgau. Beeinflußt von dem Arzt Fridolin Schuler sah er das Elend der Arbeiterschaft in den Fabriken: Ausbeutung, Unterernährung, Hunger, Krankheiten, hohe Kindersterblichkeit. Maggi wollte den Arbeitern eine eiweiß- und fettreiche Kost servieren, dabei aber leicht verdaulich und vor allem billig. Da in vielen Familien auch Frauen und Kinder in die Fabriken zogen, sollte sie auch noch schnell zubereitet sein.
1882 begann er mit dem Mehl aus Hülsenfrüchten zu experimentieren, baute eine große Röstpfanne und kreierte ein Jahr später das erste Leguminosenmehl. 1886 brachte er Erbsen- und Bohnensuppen aus Gemüsemehl auf den Markt. Die erste Fertigsuppe war geboren.
Besonders toll muß sie schon damals nicht geschmeckt haben. Jedenfalls erfand der „erste Automobil- und Motorradbesitzer weit und breit“ (Jubiläumsschrift) noch im selben Jahr die berühmte Maggi-Würze, um die dünnen Suppen geschmacklich aufzupeppen. Über die Rezeptur hält sich das heute zum Nestlé- Konzern gehörende Unternehmen noch immer bedeckt. Verständlich, sie ist nicht sehr appetitlich. Das Kölner Katalyse-Institut beschreibt die Herstellung der brauen Plörre wie folgt: „Eiweißhaltige Rohstoffe wie Weizen und Reiskleber, Soja, Palmkern- oder Erdnußschrot werden bei Temperaturen über 100 Grad mit Salz- oder Schwefelsäure versetzt. Bei dieser Säurehydrolyse entstehen für das Würzaroma verwendbare Eiweißabbauprodukte. Anschließend wird die Flüssigkeit mit Natronlauge neutralisiert und mehrmals filtriert. Speisewürzen enthalten zu 20 Prozent Salz.“ Im Büchlein über 100 Jahre Maggi hört sich das so an: „Maggi-Würze wird aus biologisch aufgeschlossenem pflanzlichen Eiweiß hergestellt. Weitere Zutaten sind Wasser, Salz, Aroma, Glutamat und Hefeextrakt.“
1886 wurde die Kommanditgesellschaft Julius Maggi gegründet. Am 17. August 1897, vor genau 100 Jahren, erhielt die Maggi GmbH in Singen den Eintrag ins Handelsregister. Der Chef überließ nichts dem Zufall, richtete eigens ein „Reclame und Press- Büro“ ein und engagierte den Dramatiker Frank Wedekind als Texter und Marketingchef. „Ausgerechnet Wedekind, der später die deutschen Spießbürger so erbarmungslos provozierte, war der erste in einer langen Reihe von Textern, die das Markenprofil von Maggi schliffen, bis es sich fest in das Bewußtsein der Konsumenten eingegraben hatte“, wundert sich das „Verbrauchertelegramm“. Maggi selbst korrigierte alle Texte, die dann in Annoncen erschienen: „Das wissen selbst die Kinderlein / mit Würze wird die Suppe fein./ Drum holt das Gretchen munter / die Maggi- Flasch' herunter.“
1912 starb Maggi, doch seine Fabrik expandierte weiter. Maggi wurde zum Küchenmythos, zum wichtigsten Helfer deutscher Hausfrauen. Als Degenhardt in seinem Lied „Sonntags in der kleinen Stadt“ das Blubbern dicker Soßen beschrieb, konnte er nur die von Maggi gemeint haben. 160 Millionen Liter davon rutschen jährlich den deutschen Schlund hinunter. Der Esser ist zufrieden: „Wärme, Wohlbehagen, Geborgenheit, Mütterlichkeit und Sicherheit sind tief im Kern der Marke Maggi verankert“, behauptet der Hersteller.
Heute stellt das Unternehmen an drei Produktionsstätten in Singen in Baden, Lüdinghausen (Nordrhein-Westfalen) und Teutschentahl (Sachsen-Anhalt) nicht weniger als 300 Produkte her. Hier wird extrahiert und emulgiert, verdickt und antiklumpiert, Brühe wird eingedampft, Kartoffeln das Wasser entzogen, bis sie zu Pellets zusammenschnurren. Wie riesige Betonmischmaschinen arbeiten moderne computergesteuerte Trockenmischzentren, Aromabad inklusive. Ob Knödel im Kochsäckchen, klümpchenfreie Soßenbinder, Salat-Fix oder Kartoffelpüree in der leckeren Granulatform – Maggi ist immer dabei. Geschmacksverstärker „Fondor“ kitzelt auch aus Briefmarken noch eine deftige Note heraus. Und der Exotiktrend wird mit „Texicana Salsa“ oder „Asia-Nudelsnack“ bedient.
Immer neue Produkte werden komponiert. Ein großer Wurf gelang mit der Fünf-Minuten-Terrine, von der bis 1995 schon 500 Millionen Exemplare verkauft wurden. Fast food auf die Spitze getrieben: Nach Übergießen mit kochendem Wasser ist das „Essen“ in vier Minuten fertig. Die fünfte Minute ist fürs Tischgebet reserviert. Und endlich braucht's auch kein Geschirr mehr. Die Verpackung ist gleichzeitig das Zubereitungsgefäß.
Nur eines könnte bei all den Innovationen auf der Strecke bleiben: die gute, schlechte, alte Maggi-Würze. Die heutigen Suppen und Fertiggerichte sind von den Food-Designern so getuned, das Mouth-Feeling so perfektioniert worden, daß die braune Tinktur tatsächlich überflüssig ist.
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