: Alle rechnen mit einem Lady-Diana-Effekt
■ Der Tod der Prinzessin beeinflußt auch das Referendum in Schottland. Labour fürchtet, daß weniger Menschen zur Abstimmung gehen, Tories hoffen auf Mitleid mit der Monarchie
Hunderte von Blumensträußen liegen vor dem Rathaus in Inverness. Die Trauerkarten und Briefchen, die an sie geheftet sind, tragen hier, in der Hauptstadt des schottischen Hochlands, dieselben Botschaften wie in London oder Belfast: Die Schotten trauern um die „Königin unserer Herzen“ und die „Prinzessin des Volkes“. „Ganz so dramatisch wie in England war es aber nicht“, sagt Norman Mac Askill, Geschäftsführer der Labour Party von Nordschottland. „Die Menschen hatten nicht in dem gleichen Ausmaß das Bedürfnis, zur Trauerfeier nach London zu fahren. Diana hat in ihrem Leben eine geringere Rolle gespielt.“ Mac Askill ist sicher, daß ihr Tod keine Auswirkungen auf das Referendum haben wird. „Schließlich haben sich die Bürger schon vor langer Zeit ihre Meinung über die jetzt zur Abstimmung stehenden Fragen gebildet.“
Morgen müssen die Schotten entscheiden, ob sie ihr eigenes Parlament mit begrenzten Machtbefugnissen sowie die Möglichkeit zur Festsetzung eigener Einkommensteuersätze haben wollen. Die Labour Party hat mit der Schottischen Nationalen Partei (SNP) und den Liberalen Demokraten eine Allianz gebildet, die für ein doppeltes Ja wirbt. Nach Dianas Tod ruhte die Kampagne, doch bereits am Sonntag läuteten Tony Blair und „James Bond“ Sean Connery den Endspurt ein.
„Es kann jedoch passieren, daß jetzt, nach dem Tod Dianas, nach dieser Woche politischer Apathie, weniger Menschen zur Abstimmung gehen“, befürchtet Labour- Mann Mac Askill. Daher müsse man jetzt noch einmal verstärkt mobilisieren. Doch werde der Popularitätsschub, den Blair in der letzen Woche erfahren hat, die Zahl der Ja-Stimmen erhöhen.
Der Labour-Abgeordnete Tam Dalyell fordert dagegen eine Verschiebung des Referendums um zwei Wochen, und in der überparteilichen „Focus Group“, einem Debattenkreis der Zeitung The Scotsman, ist man der gleichen Meinung. Die 59jährige Margaret Herd, eine Tory-Wählerin, sagt: „Ich habe bisher nur ein einziges Flugblatt gesehen. Die Folgen, die ein Parlament mit Steuerbefugnis hat, sind uns nicht erklärt worden.“ Tatsächlich hat jeder Haushalt bereits vor Wochen eine umfassende Info-Broschüre erhalten.
Herd glaubt, daß die Reaktionen auf Dianas Tod direkte Auswirkungen auf das Wahlverhalten haben werden. „Die Menschen im ganzen Land sind dadurch näher zusammengerückt“, sagt sie. „Wahrscheinlich überlegen sich viele es jetzt zweimal, ob sie am Donnerstag für eine Abspaltung vom Rest des Landes stimmen sollen.“ Auf den Diana-Effekt setzt auch Rosemary Tough, Sekretärin und einzige bezahlte Kraft der Conservative and Unionist Party des Hochlands. Die Tories treten für eine Ablehnung beider Referendumspunkte ein. „Dianas Tod hat die Menschen in ihrer Trauer vereint“, sagt sie. „Das könnte gut für uns sein.“ Diana sei eine Hollywood-Prinzessin gewesen, die die Medien benutzt hat. „Die Königin und ihre Familie sind aber gar nicht so pompös.“ Das weiß sie von ihrer Cousine, die in einem Wohltätigkeitsverein arbeitet, der unter der Schirmherrschaft von Prinz Philip steht. „Selbst die Labour Party will keine Republik ausrufen.“ Ein Leben ohne Monarchie könnte sich Tough nicht vorstellen.
Mac Askill kann es sich dagegen gut vorstellen, er kreuzt bei dem Gedanken seine Finger – was soviel wie Daumendrücken bedeutet. „Offiziell darf ich es gar nicht sagen“, meint er, „aber ich hoffe sehr, daß die Monarchie stürzt.“ Die Windsors kamen einem vorige Woche völlig irrelevant vor, sagt er. „Vielleicht wird Dianas Bruder Earl Spencer als derjenige in die Geschichte eingehen, der mit seiner Trauerrede, in der er die Königsfamilie so scharf angriffen hat, das Ende der Monarchie eingeleitet hat.“
Der Labour-Mann glaubt, daß für die Windsors nun alles von einem Teenager abhängt. „Wenn William etwas von der Persönlichkeit seiner Mutter hat“, sagt er, „dann kommt die Monarchie wohl noch mal davon.“ Dann überlegt er einen Moment und fügt hinzu: „Merkwürdig. Ich bin überzeugter Antimonarchist, aber ich war überrascht, wie sehr mich Dianas Tod berührt hat.“ Ralf Sotscheck, Inverness
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen