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Keine Märchen zu erzählen

■ Mein Vater, der Gastarbeiter: Ein Hamburger Film zwischen Neuenfelde und Kurdistan für die dritte kurdische Generation Von Heinz-Günter Hollein

Yüksel Yavuz erzählt, leise und konzentriert. Wenn sich Daumen und Zeigefinger vom Teeglas lösen, bleiben sie gebogen wie eine Klammer, die etwas Flüchtiges vor seinen Augen fixieren soll. Irgendwo zwischen einer Barackensiedlung in Neuenfelde und einem Dorf in Türkisch-Kurdistan ist eine Illusion verlorengegangen. Statt dessen sind Bilder entstanden und mit ihnen die Identität eines jungen kurdischen Filmemachers in Hamburg.

„Das war schon nicht schlecht“, beschreibt der 30jährige den Moment, als ihm am 4. Mai dieses Jahres der Sonderpreis des Internationalen Münchener Dokumentarfilmfestivals für Mein Vater, der Gastarbeiter überreicht wurde. In den braunen Augen blitzt ein gar nicht so schüchternes Lächeln auf, wenn Yavuz von seinem „Erstling“ erzählt und seine „sechs Semester an der HfBK“ als nicht eben erhebliche filmische Ausbildung charakterisiert.

Im Sommer vergangenen Jahres drehte Yavuz mit zwei Mitstudenten, einer französischen Tontechnikerin und einem deutschen Kameramann, ohne Drehgenehmigung im Dorf seiner Eltern in Kurdistan. Nach 16 Jahren als Werftarbeiter in Hamburg war Yavuz' Vater 1984 „nach Hause“ zurückgekehrt, zu seiner Frau, die ihn in all den Jahren nur im Urlaub gesehen hat und die ausschließlich Kurdisch spricht. Aber es war nicht mehr wie früher. Die Jungen sind fortgezogen, durch die Felder rollen türkische Panzer, die Wälder hat die Armee im Kampf gegen die PKK abgebrannt. Noch einmal zehn Jahre danach, im Herbst 1994, schließt auch Hamburg die Tore vor den Erinnerungen des Vaters. Yavuz will mit ihm an seiner alten Arbeitsstelle drehen, aber die Sietas-Werft in Finkenwerder will den alten Mitarbeiter nicht einmal ohne Kamerateam auf ihr Gelände lassen.

Der Sohn, der in Hamburg blieb, hat seinen Film für seinen Neffen gedreht, „für die dritte Generation“, die „weder das Kurdistan der Großeltern gesehen, noch das Leben ihrer Großeltern in Deutschland gekannt hat“.

Produziert wurde Mein Vater, der Gastarbeiter von der Zero-Film in Berlin. Das Hamburger Filmbüro wollte das Projekt zwar fördern, aber ... Wieder beschreiben Daumen und Zeigefinger etwas Flüchtiges: den Etat der Hamburger Filmförderung.

Am 7. Mai zeigte Yavuz den Film im Metropolis vor Verwandten und alten Bekannten seiner Eltern. „Viele haben geweint, es war eine große Sehnsucht zu spüren. Einsamkeit. Aber viele waren auch wie erleichtert, die Wirklichkeit gesehen zu haben.“ Das ZDF zeigt Mein Vater, der Gastarbeiter am Sonntag um 23.50 Uhr in der Reihe Kleines Fernsehspiel. Die Redaktion dieser Mainzer Qualitätsnische hat auch bereits Interesse an Yavuz' nächstem Projekt bekundet, „einem richtigen Spielfilm“. Geplanter Schauplatz ist der Kiez von St. Georg, wo Yavuz neun Jahre lang gelebt hat. Er will die Geschichte eines Freundes erzählen, „dessen kleiner Bruder ein großer Dealer wird“.

Es war einmal in Deutschland sollte Mein Vater, der Gastarbeiter ursprünglich heißen. Aber ein kurdischer Filmemacher hat keine Märchen zu erzählen.

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