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Fünfhundert Produkte des Takts

■ „Baulust und Bürgerschreck“: Eine Ausstellung über den Hamburger Architekten Martin Haller

Die Pariser Oper hat er nicht gebaut – aber nur knapp nicht. Denn der Entwurf des Hamburger Architekten wurde 1861 sehr gelobt. Und der Sieger Charles Garnier holte den Deutschen in sein Atelier. Die Rede ist von Martin Haller, einem der wichtigsten Architekten des Historismus und Baumeister des Hamburger Rathauses. Zum hundertjährigen Jubiläum des Regierungsbaus zeigt das Museum für Kunst und Gewerbe eine große Ausstellung über den Leiter des Rathausbaumeisterbunds.

Der 1835 geborene Bürgermeistersohn gehörte zur Elite der damaligen Bürgerstadt. Nach siebenjähriger Ausbildung in Berlin und Paris und zahlreichen Reisen durch Europa hätten ihn seine phantasievollen Projekte von großen Luxusbauten zum Hofarchitekten eines Königs befähigt. Doch er ging zurück nach Hamburg und wurde der erfolgreichste Privatarchitekt der Stadt.

Mit seinen fünfhundert Neu- und Umbauten sowie Denkmälern prägte er das Stadtbild im Geiste seiner als Stil bevorzugten Neorenaissance. Etwa siebzig seiner Architekturen sind trotz Weltkriegszerstörungen und forciertem Abriß noch heute erhalten. Weit vor dem offiziellen Wettbewerb präsentierte Martin Haller 1862 einen Vorschlag für eine Kunsthalle auf einer Insel in der Alster, 40 Jahre später lieferte er die Pläne für die Musikhalle. Besonderen Ruf hatte er aber als Entwerfer für die Bankgebäude und Kontorhäuser der im neuen Kaiserreich boomenden Handelsstadt. Bei der Dresdner Bank am Jungfernstieg ist die original Kassenhalle von 1899 erhalten, mit ein Grund, daß diese Bank als Sponsor der Ausstellung auftritt.

Hallers Dovenhof von 1885 war als repräsentatives, mehreren Firmen dienendes, reines Verwaltungsgebäude geradezu eine vorbildliche Typ-Schöpfung mit neuestem Komfort, wie dem ersten Paternoster auf dem europäischen Festland. Das Gebäude wurde für den Neubau des „Spiegel“- Gebäudes 1967 leider abgerissen, in einer Zeit, die im Historismus noch den verlogenen Stil schlechthin erblickte.

2300 Entwurfszeichnungen sind überliefert, Martin Haller war berühmt für deren besonders malerische Art. Über Pläne und Modelle hinaus, ergibt sich durch das altarartige „Rathaus-Triptychon“und die Zusatzausstellung über den Bildhauer Aloys Denoth, der einen Teil des bauplastischen Schmucks des Rathauses gestaltete, ein interessantes Zeitbild.

Die Ausstellung will, passend zum wiedererwachten Prachtbedürfnis des aktuellen Jahrhundertendes, Martin Haller gegenüber dem stets gelobten Fritz Schumacher aufwerten. Eine Publikation der 1000seitigen, humorvoll mehr das Hamburger Gesellschaftsleben als die Architektur beobachtenden Erinnerungen Martin Hallers wird angestrebt. Dort faßt der Architekt sein Werk in hamburgischem Understatement zusammen: „Was ich schuf, ist ein Produkt des Takts und des Gedächtnisses, hie und da in die Sprache einer malerischen Zeichnung gekleidet.“ Hajo Schiff

ab heute bis 2. Nov. 270seitige, ausführliche Werk-Monographie als Katalog-Buch im Verlag Dölling und Galitz, 49 Mark.

Hallers Entwurf für das Hamburger Rathaus von 1876

Abb.: Katalog

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