■ Vorschlag: Ismael Ivos "Bacon" in der Arena
Ausdruckstanz mit Kamera Foto: David Baltzer/Sequenz
Subtilitäten sind seine Sache nicht. Er liegt da, in die schwere, große Gummidecke eingewickelt, und röchelt. Laut. Dann schnellt ein Bein hervor. Spot auf die Fußsohle. Sie ist blutrot. Ruckartig strampelt der Tänzer sich frei. Und liegt da, nackt. Ivo, der Rasende, Ivo, das Tier. Der Synthie-Sound, der das Keuchen des Tänzers in sich aufgenommen hat, dröhnt pathetisch. Ismael Ivo tanzt Francis Bacon. Und es geht um all das Leid, das die Welt einem Mann – dem zerquälten Künstler-Mann – zu bieten hat. Mit „Francis Bacon“, 1994 in Stuttgart uraufgeführt, kann man jetzt in der Arena die erste Produktion sehen, bei der Ismael Ivo mit Johann Kresnik zusammengearbeitet hat. Das Stück will weniger die Vita des asthmatischen Außenseiters Bacon (1902–1992) umsetzen als seine surrealen Menschenbilder, in denen Körperformen in Fleischklumpen, Gesichter in Fratzen der Angst, Leben in Tod übergehen.
Dazu hat Penelope Wehrli die Bühne als klaustrophobisches Dreieck gestaltet. Mit unbarmherzigen Metallwänden und einem Triptychon von Fensteröffnungen, aus denen scharfkantige Pritschen heraus- und wieder hineingeklappt werden können und mit ihnen die Personen. Erst Tero Saarinen, der dunkellockige Schönling, mit dem Ivo das kleine Sadomaso-Alphabet der Liebe buchstabiert: Schlagen und Umarmen, Fußsohlen-Lecken und am-Ledergürtel- über-die-Bühne-Schleifen. Dann Mara Borba, Machofrau mit Messer, die als amputierte Amazone mit zusammengebundenen Beinen über die Bühne kriecht. Ivo und Saarinen verbeißen sich in einen blutigen Fleischlappen. Einmal öffnet sich das Bühnenfenster plötzlich, und am Fleischerhaken hängt Ivo und windet sich, fleischgewordener Bacon, und die Musik ist schon wieder viel zu laut.
Was Ismael Ivo hier präsentiert, sind archaische Macho-Posen, Gefühle mit Authentizitäts-Appeal, ohne jede ironische Distanz. Er hat nicht die geringste Angst vor dem Kitschbild des wilden schwarzen Mannes. Und diese Naivität, mit der Ivo das große Leid der Welt erzählen will, ist vielleicht das einzige, was den Abend vor dem gänzlichen Absturz rettet. Wenn man „Francis Bacon“ überhaupt erträgt, dann wegen der Kraft und der Heftigkeit von Ismael Ivo, die Respekt abnötigt. Wenn er zuckt, ist er exhibitionistisch, aber er ist auch uneitel. Am Ende, beim Applaus, steht Ivo da, als hätte er X-Beine: ganz Mensch. Doch versöhnen kann das nicht. Elke Buhr
16./17., 19.–21.9., 21 Uhr, Arena, Eichenstr. 4, Treptow
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