: Die im Netz malen
■ Die Hamburger Kunsthalle hat einen Wettbewerb für Webkunst ausgelobt: Erster Preis für Kafka im Rockerlook
An Bildern ist kein Mangel im Web. Es quillt über von jenen Grafiken, die in den Werbeagenturen den Zeitgeist vertreten. Doch gerade Kunstwerke haben in dieser multimedialen Welt einen schweren Stand. Sie dürfen kaum auf ein Publikum rechnen, das bereit ist, sich auf ihre Anstrengungen und Katastrophen einzulassen. Sammler finden nichts, was sie besitzen könnten, denn alles ist reproduzierbar und nur als Datei materiell vorhanden – um einmal das mißverständliche Wort „virtuell“ zu vermeiden.
Die Frage, welchen Ansprüchen eine Kunst für das Internet genügen sollte, ist noch kaum diskutiert. Immerhin hat jetzt die Hamburger Kunsthalle einen Anfang gemacht. Sie hat mit Unterstützung der deutschen Philips- Tochter und des Spiegel-Verlages unter dem Titel „Extension“ einen Wettbewerb ausgeschrieben. Schon die Beschreibung des Themas verrät die Unsicherheit, die der Sache angemessen ist: „Internet als Material und Gegenstand“ (www.hamburg.de/Behoer den/Museen/kh/Extension/).
Als Thema hat das Internet unter Künstlern eine nicht weniger spektakuläre Karriere hinter sich gebracht als unter Geschäftsleuten. Kaum jemand, der nicht auf die Chance globaler Kommunikation hinweist. Zum Material in finanzieller wie ästhetischer Hinsicht ist es damit nicht geworden. Meist bleibt es hier wie dort bei vielen Worten, und die Ausnahmen von dieser Regel zu suchen wäre wohl die Aufgabe von Konzernberatern einerseits und Kunstrichtern andererseits.
Die Jury des Hamburger Wettbewerbs, angeführt von Uwe Schneede, dem Leiter der Hamburger Kunsthalle, hat vergangene Woche das Urteil gesprochen. Am Sonntag fand die Preisverleihung statt, und mehr noch als sonst in solchen Fällen haben sich die Juroren damit selbst auf die Anklagebank gesetzt. Nicht einmal der erste Preisträger Micz Flor ist zufrieden. Entgeistert fragt er im Spiegel- Online-Forum nach, warum man denn schon den Ausdruck „Netzkünstler“ in Anführungsstriche gesetzt habe: „Weshalb fällt die Definition so schwer?“ (www.spiegel .de/kultur/pool/miczmail.html)
Weil es dafür noch keine Maßstäbe gibt. Was Flor darüber ausführt, kommt über gestammelte Gemeinplätze nicht hinaus („Jeder ist Künstler – ein Scanner und eine Unihomepage, und ich bin Netzkünstler“).
Der erste Preis für das Werk „Cybertattoo“ von Miczs Flor und Florian Clauß dagegen ist durchaus zu rechtfertigen. Die beiden Mittzwanziger variieren noch einmal das Thema des Körpers, das zu Tode geritten wäre, hätte ihm nicht das Internet neuen Stoff verschafft. Im Computernetz fehlt er ganz und gar, der Körper. Den Mangel treiben Flor und Clauß mit einer imaginierten, dennoch in genauen Bauplänen dargestellten Maschine auf die Spitze, die Grafiken aus dem Netz als Tattoo in die Haut eines Menschen einschreiben kann. Man muß sie nur an die Druckerschnittstelle des PCs anschließen: Assoziationen an Kafkas Strafkolonie sind erwünscht, um so mehr, als die Website selbst auf solche Hinweise verzichtet. Sie informiert eher notdürftig über historische Hintergründe des Tätowierens. Viel lieber bedient sie sich des proletarischen Rockerlooks dieser Kunstart, ohne Zeigefinger auf das Feuilleton, und ist daher sehr wohl ein Spiel mit Netz als Material, das mit seinen Websites für Tattoofetischisten das Vorbild geliefert hat.
Weit schwerer fällt der Beifall für den zweiten Preis, der an Ingo Günther und seine Refugee Republic ging (www.refugee.net). Es fehlt schon in der Grundidee an keinem Klischee beider Welten: hier die ortlosen Flüchtlinge, deren unnahbar große Zahl Günther nur mit UNO-Statistiken belegen kann, dort die unendlichen Möglichkeiten einer virtuellen Heimat, in denen Flüchtlinge nichts weniger als Avantgardisten eines neuen Zeitalters sein müssen. Die Ärmsten, womöglich liegt ihnen da doch der dritte Preis näher, den die Jury an den Slowenen Igor Stromajer und sein Werk „0.html“ vergab – eine düstere Welt in Grau, beherrscht von sexuellen Obsessionen und willkürlichen Verboten eines aboluten Staates, dessen Grenzen verschwinden, weil er sich im Innern dieser sehr männlichen Künstlerseele einnistet (www2.arnes.si/~ljintima/0.html).
Stromajer ist durchaus repräsentativ für die pathetische Verknüpfung von existentialistischem Pessimismus mit futuristischer Technik, in der viele Webkunstwerke heute noch steckenbleiben. Mit Witz, aber außer Konkurrenz hat indessen die Hamburgerin Cornelia Sollfrank den Wettbewerb gewonnen: Sie hat unter fiktiven Briefadressen gleich 127 Arbeiten eingesandt. Die Jury wunderte sich, was diese vielen Frauen alles für Kunst halten. Das Rätsel ist gelöst: Cornelia Sollfrank hat willkürlich zusammengesetztes Netzmaterial eingereicht. Brigitte Werneburg
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