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Ausgemustert und auferstanden

■ Die erste Dampfzahnradbahn Europas klettert in der Schweiz wieder auf die Berge. Die „Königin der Berge“, kurz Rigi genannt, weckt nostalgische Gefühle

„Ich will das Volk auf die Berge führen, damit sie alle die Herrlichkeit unseres erhabenen Landes genießen können!“ Gesagt, getan – und mit Erfolg: Der Schweizer Ingenieur Niklaus Riggenbach ließ sich 1863 seine Erfindung, Züge mittels Zahnrad und Zahnstange über Steigungen zu fahren, in Frankreich patentieren. Sieben Jahre später überwand in der Zentralschweiz ab Vitznau die erste Dampfzahnradbahn Europas 300 Höhenmeter der „Königin der Berge“, kurz Rigi genannt. Es folgte ein regulärer Betrieb von Vitznau bis nach Staffelhöhe auf 1.550 Metern. Wer den mühsamen Aufstieg bis zur Talstation zu Fuß scheute, konnte einen Tragsessel samt Träger oder ein Pferd mieten.

Die technische Revolution, per Dampfkraft die Rigi hinaufzuklettern, zog bereits im ersten Betriebsjahr über 60.000 Gäste an. Glanzstück des Ganzen war die 200 PS starke „Lok 7“ mit stehendem Kessel. Ganze 7,5 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit.

Der Bergtourismus erfuhr einen ungeahnten Aufschwung in der Zentralschweiz. Schon 1907 war die Dampflok den Verantwortlichen zu langsam. Die Elektrizität siegte über den Dampf. Die Pionierlok verschwand im Museum.

Im Zeitalter der Höchstgeschwindigkeiten auf Gleisen gründeten Nostalgiefreunde den Verein „Pro Lok 7“ mit dem Ziel, das verstaubte Dampfroß zu restaurieren. Gesagt, getan – und wiederum mit Erfolg: In über 2.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit rekonstruierten Techniker, Mechaniker und Eisenbahnfans alte Maschinenteile größtenteils per Hand und setzten die „Lok 7“ wieder zusammen. Im Frühjahr 1996 begann für die „alte Dame“ eine neue Karriere als die weltweit einzige betriebsfähige Zahnraddampflokomotive mit stehendem Kessel, den Nostalgiewagen B2 aus dem Jahre 1871 vor sich herschiebend. 45.000 staunende Fahrgäste beförderte diese ab Goldau hinauf bis zum Gipfel Rigi-Kulm (1.800 Meter). Grund genug, mit dem Nostalgiekonzept auch in diesem Jahr des 150jährigen Jubiläums der Schweizer Bahnen Touristen in das Rigi- Gebiet zu locken. Ein 90 Quadratkilometer großes, autofreies Sport- und Erholungsgebiet mit 100 Kilometer langem Wandernetz, umgeben vom Vierwaldstätter-, Zuger- und Lauerzersee.

Nun biegen sich seit Juni und noch bis Ende September die Äste an der Bahnstrecke die Rigi hinauf. Der Dampfstrahl der „Lok 7“ hat es in sich. Nicht weniger als 550 Kilogramm Kohle und 2.800 Liter Wasser pro Tag verbraucht die dampfende Touristenattraktion auf ihrer fast zweistündigen Fahrt mit zum Teil 20prozentiger Steigung bis zur Endstation Rigi-Kulm und wieder hinab. Wie die Bergziegen kleben Schaulustige und Fotografen an den Hängen, um einen nahen Blick zu erhaschen.

Unermüdlich schaufelt der Lokführer die Kohlen in den Kessel und läßt mit ohrenbetäubendem Pfeifen den Dampf ab. Die Fahrgäste, die im ehemaligen offenen Gepäckabteil mitfahren, bleiben vom Kohlestaub nicht ganz verschont. Unter ihren Füßen ackert es gewaltig: Die „Lok 7“ könnte mühelos jedem Techno-Beat Konkurrenz machen. Und in Zeitlupe das Ganze, so daß mit jedem überwundenen Höhenmeter das Bergpanorama genossen werden kann.

Damit die Zeitreise in die Vergangenheit so richtig echt wirkt, tragen die Schaffner historische Uniformen. Selbst einen gezwirbelten Schnauzbart ließen sich einige stehen. Verena Mörath

Informationen/Buchungen: Rigi-Bahnen,

0041-41-3998787, Internet: http://www.rigi.ch/

oder Verkehrsbüro Rigi,

Tel.: 0041-41-3971128

Anfahrt: Bis Luzern oder Goldau mit dem Zug (EC-, IC- und Schnellzüge). Ab Luzern mit dem Raddampfer quer über den Vierwaldstättersee nach Vitznau oder Weggis.

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