piwik no script img

Der Bürgerschreck for president

■ Nach der Spaltung der serbischen Opposition steht der Wahlsieg der Milosevic-Sozialisten fest. Aber wer wird Präsident? Womöglich der Raufbold und Dunkelmann Vojislav Seselj. Aus Belgrad Andrej Ivanji

Der Bürgerschreck for president

Die Bürger der Republik Serbien entscheiden am Sonntag über ihren neuen Präsidenten und die Zusammensetzung des Parlaments. Schon bevor die Wahllokale öffnen, scheint der Sieger festzustehen: die Sozialistische Partei (SPS) von Slobodan Milošević. Im Rennen um die 250 Sitze im Parlament sind die politischen Erben der Kommunisten konkurrenzlos, da wichtige Oppositionsparteien die Wahl boykottieren.

Auch der Präsidentschaftskandidat der SPS, Zoran Lilić, geht als Favorit in die Wahl, wenn auch hart bedrängt von einem politischen Dunkelmann: dem ehemaligen Milizenführer Vojislav Šešelj. Sein Abschneiden wird mit besonderer Spannung erwartet. In den Umfragen lag er dicht hinter Lilić. Wird ein verrückter Nationalist an die Spitze Serbiens gewählt, fragt sich die politische Restvernunft im Lande.

Anfangs hat ihn niemand ernst genommen. Er galt als Hanswurst der serbischen Politszene. Sein radikales Geschwafel über die Lösung der nationalen Frage erheiterte das Auditorium. Bis Slobodan Milošević den kleinen, verhöhnten Dissidenten aus der Zauberkiste holte und ihm den Zugang zu den Medien ermöglichte: Seitdem darf Dr. Vojislav Šešelj dem serbischen Volk verkünden, was sich ein Politiker von Milošević' Rang nicht leisten kann.

Heute lacht keiner mehr. Viele haben Angst vor Šešelj. „Den Ustascha werden wir mit verrosteten Löffeln die Augen ausstechen“, hatte er 1991 versprochen und seine bärtigen Trupps der „serbischen Tschetniks“ mit ihren schwarzen Pelzmützen in den Krieg geschickt. Jetzt verspricht er, serbischer Präsident zu werden, hat schwarze Listen der „Verräter des serbischen Volkes“ vorbereitet, die er sofort von allen öffentlichen Funktionen entfernen will. Das Problem der albanischen Minderheit will er lösen, indem er 300.000 Albaner aus dem Kosovo vertreibt. Um zu zeigen, wie ernst er es meint, fuchtelt Šešelj gern mit der Pistole herum.

Plakate mit der Parole „Dr. Vojislav Šešelj zum Präsidenten!“ zieren heute ganz Serbien. Drei Monate vor allen anderen Parteien hat Šešelj zuversichtlich seine Wahlkampagne begonnen. „Ich werde Präsident, da könnt ihr machen, was ihr wollt“, verkündet er. Den jugoslawischen Präsidenten, Slobodan Milošević, bezeichnet Šešelj gern als „Mafiaboß“, den oppositionellen Bürgermeister Belgrads und Präsidenten der Demokratischen Partei, Zoran Djindjić, als „deutschen Spion“. Die übrigen Parteien sind für ihn ganz einfach „lächerlich“. Šešeljs Motto: „Glaubt nicht, was ihr seht und hört, sondern was ich sage.“

Und viele tun das. Šešelj ist der wahre Meister der Medien, unschlagbar in Fernsehduellen, zumal er niemanden zu Wort kommen läßt. Seine Auftritte sind gelassen, charmant, er ist nicht aus der Fassung zu bringen und spricht die größten Lügen mit souveräner Selbstverständlichkeit aus.

Šešeljs Programm sieht die Wiederherstellung Großserbiens vor, das ganz Bosnien und zwei Drittel Kroatiens umfassen soll, ebenso fordert er die Aufhebung der Föderation mit Montenegro, weil er in den Montenegrinern Serben sieht. Außerdem hat er dort Aufenthaltsverbot. Das alles kann seiner Meinung nach am ehesten verwirklicht werden, wenn Rußland wieder Großmacht wird. Šešelj unterhält kollegiale Beziehungen zu Rußlands Schirinowski und Frankreichs Le Pen.

Natürlich unterstützt er offen den Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić. Der überzeugende Demagoge verspricht eine Gleichschaltung der Renten und Gehälter. Als Vater von drei Kindern ruft er dazu auf, mehr Kinder zu machen, damit das serbische Volk wieder groß und stark werde.

Erfolgreich spricht Šešelj die Wähler unter den verarmten und arbeitslosen Arbeitern an. Den etwa 700.000 Flüchtlingen aus Bosnien und Kroatien spricht er aus der Seele. Auf dem Land steigt seine Popularität. Schon 1992 waren seine Radikalen die zweitstärkste Partei in Serbien. Von insgesamt rund sieben Millionen Wahlberechtigten in Serbien kann Šešelj jederzeit mit etwa 1,5 Millionen Stimmen rechnen. Ein Teil der serbischen Opposition boykottiert die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag. Šešelj sieht endlich seine Chance. Die regierenden Milošević-Sozialisten dosieren die Auftritte des groben Nationalisten in den Staatsmedien. Sie wollen die Bevölkerung mit Šešelj abschrecken und präsentieren sich als einzige Macht im Lande, die den Radikalen aufhalten kann. Es scheint jedoch, als habe das Regime die Kontrolle über den Nationalistenführer verloren.

Šešelj ist in der Herzegowina gebürtig, hat in Sarajevo politische Wissenschaften studiert und mit Brillanz promoviert. Schon Anfang der 80er Jahre schrieb er über die Auflösung der Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawiens und die Herstellung eines zentralisierten, serbisch dominierten Staates und landete im Gefängnis. Da es sich um ein „verbales Delikt“ handelte, machten der internationale PEN-Club, dessen Mitglied Šešelj ist, und amnesty international so lange Lärm, bis er begnadigt wurde.

Heute herrscht Šešelj als Bürgermeister in der Belgrader Vorstadt Zemun, Stützpunkt und Finanzquelle seiner unbegrenzten politischen Ambitionen. „Ich möchte die Macht ergreifen, deshalb betreibe ich Politik“, sagt Šešelj und lächelt.

In Zemun hat er eine wirksame, bürgernahe Administration organisiert, Grundstücke an Flüchtlinge und arme Bürger verteilt, in die zur Gemeinde gehörenden Dörfer eine Wasserleitung legen lassen. Gleichzeitig ließ er jedoch einer kroatischen Familie in deren Abwesenheit die Wohnung beschlagnahmen. Bisher ignorierte er alle Gerichtsurteile über die Rückerstattung der Wohnung und ließ den Rechtsanwalt der Familie von seinem Leibwächter nach gemeinsamer Fernsehsendung krankenhausreif schlagen. „Jeder aufrechte Serbe begrüßt, daß wir ihm die Fresse poliert haben“, prahlte Šešelj.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen