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■ VorschlagEinsame Männer an fremden Orten: Die Tindersticks im SFB-Sendesaal

Es ist nicht mehr warm genug für Weißweinschorlen. Rot wird jetzt getrunken, denn Roter wärmt von innen. Rot, röter auch als die eher bläßlichen Rosen auf dem Cover von „Curtains“, der letzten Platte der Tindersticks. Rot wie das Blut, das nach zwei Gläsern sanft in den Schläfen hämmert, so sanft wie die Geigen, mit denen sie wuchern. Stuart Staples singt sprechend dann von noch einer Nacht in einem gemieteten Zimmer, von der Verzweiflung und von den Versuchen, sich doch einmal zu verlieben. Von all den Tindersticks Foto: Mercury Dingen also, die dem Jungen so durchs Hirn schwirren, wenn er sich zum Manne stilisieren möchte.

Dazu gehört auch eine Beschränktheit der Gesten. Wer nicht allzu viele verschiedene Sachen zu sagen hat, sagt diese um so lauter. Wer in seinen Songs nur eine Stimmung im Angebot hat, muß die halt besonders opulent zum Ausdruck bringen. So sind die Tindersticks prinzipiell eher reduziert, hat man nie das Gefühl, daß hier sechs Menschen gleichzeitig Musik machen. Andererseits hat jeder noch so leise Ton ganz fest seinen Platz, und auch von jedem Wort, jeder kleinen Melodie, die Staples singt, scheint sein Dasein abzuhängen. Das gilt eigentlich nur nicht für ein Duett, das er mit Isabella Rosselini singt. Dort glaubt er, sie habe sich in seinen Gesang verliebt, worauf sie antwortet: „When we fell in love, I was acting.“ Da bekommt der Tindersticks-Entwurf Humor, einen doppelten Boden, und mir fällt ein, daß die Walkabouts erzählt haben, Staples sei privat ein denkbar lustiger und umgänglicher Zeitgenosse.

Auf der Bühne aber steht Staples weit vornüber zum Publikum gebeugt, aber doch vor allem in sich versunken. Da wird das eigene Stilbewußtsein zum Gefängnis, und Coolness wird nicht wiedergeboren, sondern wirkt wie geklaut aus dem Secondhandladen voller zu Recht untergegangener Jahrzehnte. „Wir tragen halt gern maßgeschneiderte Anzüge und hören gern Roxy Music“, hat Staples einmal gesagt. Doch während Roxy Music den Kitsch ins Glamouröse übersteigerten und sich dabei so wenig ernst zu nehmen schienen, daß sie sich ihrer Wirkung jederzeit sicher sein konnten, hat sich bei den Tindersticks die gepflegte Melancholie verselbständigt.

Auch das kann ohne Zweifel seine Berechtigung haben. In einer Atmosphäre, die sich ganz fröhlich einlassen kann auf ein wenig wohldosierte Depression, können seine Songs zu einem Soundtrack werden für eine plaudrige Nacht in plüschigen Kneipen, in denen ein schwerer Rotwein ausgeschenkt wird. Aber das entspricht ziemlich genau nicht der Stimmung, die Staples zelebriert. Thomas Winkler

Mit Cornershop, 20 Uhr, Großer Sendesaal des SFB,

Masurenallee 8–14

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