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Kiffer regieren Frankreich

■ Eine haschischrauchende grüne Ministerin wird zum rettenden Joint für die apathisch dahinsiechende konservative Opposition

Paris (taz) – „Haben Sie schon mal einen Joint geraucht, Madame la Ministre?“ – „Ja.“ – „Kiffen Sie immer noch?“ – „Scheiße.“

Seit die französische Umweltministerin Dominique Voynet vergangene Woche im Interview mit der Wochenzeitung Charlie Hebdo diese Auskünfte gab, ist in Paris ein Tabu gebrochen.

Plötzlich sind die streng verbotenen pétards in aller Munde. Nach der Grünen legte sich die sozialistische Justizministerin Elisabeth Guigou ins Zeug – allerdings rein politisch und ohne Selbstbezichtigung. Kiffen sei „kein Drama“, sagte sie im Privatfernsehen TF 1, vorausgesetzt, es werde „nicht zur Gewohnheit“.

Das war der rettende Joint. Die Konservativen stürzten sich wie ein Mann darauf und geben ihn jetzt in ihren Kreisen herum. Mit erstaunlichem Erfolg: Die seit der herben Wahlniederlage vor dreieinhalb Monaten apathisch schweigenden Rechten spielen plötzlich aggressiv Opposition.

Der adlige Lebensschützer und verläßliche Verteidiger der Family Values Philippe de Villiers verlangt „feierlich“ den Rücktritt der Umweltministerin. Hinterbänkler sorgen sich um den Niedergang der „Werte der Republik“.

Staatspräsident Jacques Chirac greift nach langem und diplomatischem Schweigen erneut die „laxe“ Drogenpolitik der Niederlande an, die für „schwere Störungen in zahlreichen europäischen Ländern“ sorge und ihn zwinge, die Grenzkontrollen beizubehalten. Und Exinnenminister Jean- Louis Debré, der zu seiner Amtszeit keinerlei Humor bewies, fragt jetzt wie angetörnt: „Hat Frankreich nach der Kaviar-Linken eine Kiffer-Linke?“

Kaviar-Linke, Kiffer-Linke?

Davon kann bei der gegenwärtigen Regierung freilich keine Rede sein: Die französische Drogenpolitik ist rigide und repressiv wie eh und je. Jeder Besitz und Konsum von Cannabis – und sei die Menge auch noch so gering – ist strafbar.

Abgesehen von der Grünen Voynet, die das auch schon im Wahlkampf tat, hat sich kein anderer Minister für die Legalisierung weicher Drogen ausgesprochen. Als die französischen Grünen am 18. Juni, dem Jahrestag des Londoner Aufrufes von Général de Gaulle zur Résistance, zu einer kollektiven Kifferei mit dem subversiven Titel „18 Joints“ in einen Pariser Park luden, schickte ihnen Innenminister Jean-Pierre Chevènement sogar die Drogenbrigade auf den Hals.

Dennoch zeigt sich in diesen Tagen, daß die Franzosen in Kifferfragen gelassener geworden sind. Noch im vergangenen Jahrzehnt mußte Gesundheitsminister Léon Schwartzenberg zurücktreten, nachdem er eine Drogenlegalisierung verlangt hatte. Heute witzelt man über das Bonmot von der „Kiffer-Linken“ – und lacht lauthals über das durchsichtige Mannöver der gaullistischen Opposition, die sich statt auf die vielgelobte Haushalts- und Arbeitsmarktpolitik der neuen sozialistisch-grünen Regierung auf den Drogenkonsum einer einzelnen Ministerin eingeschossen hat.

Die Tabubrecherin Dominique Voynet ist trotzdem vorsichtig. „Heute ziehe ich Scbokolade den pétards vor“, behauptet Madame la Ministre. Dorothea Hahn

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