Bundesliga hautnah: Das Leben als eine Latrinenparole
■ Hertha BSC erstolpert im Spiel gegen den 1. FC Köln drei Bundesligapunkte, die aber auch nichts nutzen werden
Der Besuch eines Hertha- BSC-Heimspiels im Olympiastadion ist ungefähr so erfreulich wie der eines Vertriebenentreffens. Da es aber sogar noch mehr Hertha-Zuschauer als „Schleysiän onsärr!“-Schreihälsinnen und -hälse gibt, erzeugt die Inspektion eines Hertha-Spiels auch entsprechend mehr Eis im Genick: Selten zuvor sah man so viele grundfies aussehende Menschen auf einem Haufen.
Menschen mit Fahne sind immer unangenehm; daß es aber in dieser Stadt Tausende von Menschen gibt, denen eine übelriechende Hertha-Fahne aus dem Halse hängt und denen das gut gefällt, sagt viel über die Bewohner Berlins. Da haben sich zwei gefunden: Die Hertha-Anhänger haben die Mannschaft, die sie verdienen, und Herthas Fußballer spielen vor dem Volk, das ihrem Spiele zukommt. So entstehen verschworene Gemeinschaften.
„Jetzt erst recht!“ lautet denn auch die trutzige Durchhalte- bzw. Latrinenparole auf dem Titel des offiziellen Hertha-Stadionmagazins Wir Herthaner, aus dem einem der geballte Provinzmief, zu dem Berlin fähig ist, entgegenquillt. Herthas Vizepräsident Jörg Thomas schreibt euphemistisch von „einer sehr schwierigen Situation“, will aber „nicht den Kopf in den Sand stecken“, sondern „nun noch härter arbeiten“, und vor allem müssen „alle an einem Strang ziehen“. Wenn alle an einem Strang ziehen, stellt sich die Frage, wer am anderen Ende des Stranges in der Schlinge steckt. Das Hirn – soweit vorhanden – ist in jedem Fall dabei.
Ebenfalls ganz geistverlassen spornt Sponsor Bewag die Hertha an: „Hertha denn je! Berlin, jetzt freue dich! Deine Hertha mischt endlich ganz oben mit. Das bedeutet spannende Spiele für die Fans. Und viel Renommee für die Sportstadt Berlin. (...) Verlieren ist hart. Siegen ist Hertha!“
Wie hart und wie unspannend für den Betrachter ein Sieg sein kann, zeigte das Spiel Hertha gegen Köln: Es war ein Stolpern und Stümpern. Bekam ein Hertha- Spieler den Ball, erschrak er darüber so heftig, daß er ihn gleich gegen einen Kölner Spieler schoß; die Kölner konnten das Spiel umgekehrt genausogut. So trottelte und eselte alles über den Platz, wie um zu beweisen, daß Fußball auch ganz ohne Schönheit auskommen kann. Ein Nullnull mit anschließendem Trainertausch wäre ein der Partie angemessenes Ergebnis gewesen, aber einmal fiel der Ball doch irgendwie ins Tor, und das zugunsten von Hertha. So gab es nichts als Elend anzusehen, und als es gar zu unwürdig und peinlich wurde, pfiff der Schiedsrichter die Partie ab.
Das Berliner Publikum aber, nicht gerade fußballverwöhnt und diesem Mangel entsprechend inkompetent, benahm sich, als sähe es ein gutes Spiel, und jubelte schon, wenn der Torwart einen Trullerball fing und dabei eine Pantomime dessen zeigte, was man früher „Glanzparade!“ nannte. Dazu sangen die Hertha- Fans mit schnapsgeölten, gleichwohl heiseren Kehlen etwas, das wie „Wir sind so, wie wir sind: das Berliner Sorgenkind!“ klang. Recht verstehen aber konnte man sie nicht, allein die unsportlichen „Arschloch“!-Begrüßungsrufe an die Kölner waren deutlich. Ansonsten klingt im Olympiastadion „Hertha!“ wie „Mörder!“ und alles zusammen wie „Sieg Heil!“
Als der Krampf vorbei war, sickerte aus den Stadionlautsprechern Frank Zanders auf die Melodie von „Sailing“ gestülptes „Nur nach Hause, nur nach Hause, nur nach Hause gehn wir nicht!“ Die Drohung wurde wahr gemacht: Noch Stunden später eierten blauweiß gekleidete und sehr unangenehm betrunkene Menschendarsteller durch ihre Stadt und kündigten vor lauter Abstiegsangst an, nun „deutscher Meister“ werden zu wollen.
Denn das ist die Welt von Hertha BSC Berlin: Parolen aus der Latrine, durch die schon Führerdurchfall floß. Wiglaf Droste
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