piwik no script img

■ Aktionsbündnis will die 610-Mark-Jobs abschaffenAbwärtsspirale durch Billigjobs

Ein breites Bündnis gegen die sozialversicherungsfreien Billigjobs war längst überfällig. Wenn die InitiatorInnen heute bei Arbeitsminister Norbert Blüm auf eine Gesetzesänderung drängen, dann haben sie nicht nur 80.000 Unterschriften im Gepäck, sondern auch ein beeindruckendes Zahlenwerk, das den akuten Änderungsbedarf empirisch belegt.

Tatsächlich hat das von der Bonner Koalition einst als Beitrag gegen die Schwarzarbeit verkaufte Projekt für „geringfügig Beschäftigte“ in manchen Branchen die Beschäftigungsverhältnisse geradezu revolutioniert. Inzwischen schlagen sich 4,5 bis 6 Millionen Menschen mit sogenannten 610-Mark-Jobs durch, allein im Einzelhandel wohl mehr als 500.000. Inzwischen dürfte selbst Blüm an diesem „Beschäftigungswunder“ nur noch bedingt Gefallen finden, denn die nicht sozialversicherten Beschäftigten sorgen für ein dickes Loch in den Sozialkassen.

Weil viele dieser Jobs allein der Substitution bisheriger Normalarbeitsverhältnisse entstammen, wird der Fehlbetrag auf etwa 15 bis 20 Milliarden Mark geschätzt. Nicht nur im Einzelhandel setzte das Blüm- Gesetz eine verhängnisvolle Abwärtsspirale in Gang. Viele Hotels und andere Dienstleistungsbereiche haben ihre Vollzeitstellen auf diese Weise ganz legal inzwischen fast halbiert. Ohne Gesetzesänderung ist diese Entwicklung nicht zu stoppen.

Fraglich ist indes, ob es mit der auch von den Bündnisgrünen geforderten Einbeziehung aller 610-Mark- Jobs in die soziale Absicherung getan ist. Denn es bedarf nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, daß in vielen Fällen die Flucht in die Schwarzarbeit die Folge wäre. Das gilt es gerade im Interesse jener Beschäftigten zu verhindern, denen der vorübergehende Nebenerwerb mittels eines 610-Mark-Jobs aus biographischen Gründen ganz gut in den Kram paßt.

Hinzu kommt, daß für manche Kleinunternehmen, zum Beispiel im Gastronomiebereich, jede weitere Kostenbelastung tatsächlich die betriebliche Existenz bedrohte. Hier müssen Ausnahmeregelungen möglich sein, die den Kleinen eine Überlebenschance in schwieriger Umgebung lassen und den Großen gleichzeitig die massenhafte Substitution der Normalarbeitsverhältnisse versperren.

Auch über den Vorschlag Oskar Lafontaines, bei Teilzeitbeschäftigung von unter 18 Wochenstunden auf den Zwang zur Arbeitslosenversicherung zu verzichten, lohnte es sich zu streiten. Anreize für Teilzeitjobs, die von vielen Beschäftigten gewünscht werden, bedarf es vieler. Walter Jakobs

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen