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Hier ist nicht Bietikow

■ Selige Vergangenheit: Performance von und mit Holger Friedrich in den Sophiensaelen

Das Abrißkommando trägt Gummistiefel und sexy Dederon. Sie knabbern am Blumenkohl, der wie PVC-Schaum aus morschen Säulen quillt. Träumen von Stracciatella und Toskana und richtigem Badeschaum. Und lieben doch nur die karge, von Fettschwaden durchdunstete Heimat.

„Ostalgie“ ist ein Wort, das das Projekt „Bietikow – Geschichte einer Kränkung“ nur unvollkommen beschreibt. Der Theatermacher Holger Friedrich und sein Ensemble wollen aufgegebenen, vom Abriß bedrohten Orten noch einmal Leben einhauchen, ihre Vergangenheit feiern, um sie dann förmlich dem Vergessen zu übergeben. Im uckermärkischen Löckwitz hat das Vorhaben offenbar ein Bedürfnis der Menschen gestillt; in hellen Scharen strömten die Zuschauer zur Kasinoküche des dichtgemachten Sägewerks, um Abschied zu nehmen.

Hier wurden die Werktätigen lange Jahre mit Weißkohl und Gehacktem versorgt, hier feierten sie zünftig-brünstige Betriebsfeste. Die Schauspieler sprachen mit den arbeitslosen Kantinenfrauen und improvisierten drauflos. Bei der Aufführung spielte das Schalmeienorchester des Nachbarortes, dann wurde die Einrichtung zerhauen, Kanonenschläge krachten, kurz: Es ging hoch her.

Und in Berlin? Der Hochzeitssaal der Sophiensaele ist nett restauriert, Orchester gibt es keines, einziger pyrotechnischer Effekt: ein still vor sich hin lodernder Gaskocher. Zum Zertrümmern hat das Ensemble olle Untertassen und eine Radio-Attrappe mitgebracht. Die Original-Kühlzelle bleibt heil, da zu teuer. Das wäre alles egal, wenn die Schauspieler die Sägewerksküche überhaupt an einem anderen Ort zum Leben erwecken könnten. Doch Bietikow ist irgendwo und Löckwitz jedenfalls nicht hier, da können die zwei Männer und drei Frauen noch so viel an schmierigen Kacheln schnuppern und Mehl verschütten.

Nur wenige schöne Momente gibt es: Holger Friedrich tanzt als untersetzter Sonderling zum stummen „Bietikow-Beat“ – eckig, verklemmt und doch sehr anmutig. Währenddessen interviewt ein beflissener DDR-Journalist die Dederonfeen, um seinen Zuhörern den Alltag des VEB nahezubringen. Genau: Bei der neuen Schälstraße kommen die Kartoffeln lila wieder raus, Blaukraut bleibt Blaukraut, und Schnittchen müssen eine ordentliche Garnitur haben, doch gibt es keine Gurken.

Und danach sehnen die Uckermärker sich zurück? Diese Aufführung muß den Graben zwischen Ost und West vertiefen. „Eine Küche, in der alle Gummistiefel tragen müssen, ist ja wohl nicht so erhaltenswert, igitt“, formuliert es mein Begleiter aus dem ehemaligen Zonenrandgebiet. Recht hat er. Übrigens werden für weitere Projekte dringend Schwimmbäder, Sportplätze und Volieren gesucht, über denen die Abrißbirne baumelt. Miriam Hoffmeyer

„Bietikow – Geschichte einer Kränkung“, heute und morgen, 19.30 Uhr, sowie 16.–27.10, Do.–So., 20 Uhr, Sophiensaele, Hochzeitssaal, Sophienstraße 18

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