: Clinton spielt auf Zeitgewinn
USA wenden sich vordergründig gegen das Engagement des französischen Energiekonzerns Total im Iran. Zu echten Sanktionen ist der Präsident jedoch nicht bereit ■ Von Andrea Böhm
Berlin (taz) – An Streitpunkten zwischen den USA und Frankreich herrscht kein Mangel. Die Palette reicht von der Nato über die Afrikapolitik bis zur Provokation par excellence: Disneyland auf französischem Boden. Zähneknirschende bis wütende Reaktionen hat nun ein neues Projekt provoziert: geplante Erdgasanlagen des französischen Energiekonzerns Total, gemeinsam mit der russischen Gasprom auf iranischem Boden.
Da kollidieren sicherheitspolitische mit energiepolitischen Interessen, Freihandelsprinzipien mit Sanktionsmechanismen sowie das Primat der Pro-Jelzin-Politik mit der Isolationsstrategie gegenüber dem Iran. Ganz zu schweigen von den US-amerikanischen Kongreßabgeordneten, die zu all diesen Fragen ihre eigenen und sehr unterschiedlichen Vorstellungen haben.
Sie waren es, die, angeführt vom republikanischen Senator Alfonse D'Amato, das „Libyen-Iran-Sanktionsgesetz“ durchgesetzt hatten, wonach mit Strafen wie dem Entzug von Ex- und Importlizenzen oder der Kreditwürdigkeit bei US- Banken jede ausländische Firma zu rechnen hat, die eine Summe von mehr als 20 Millionen Dollar in die Rohstoffindustrien der beiden „Pariah“-Staaten investiert.
Total hat mit Teheran ein Geschäft über ein Investitionsvolumen von zwei Milliarden Dollar abgeschlossen – ein Deal, den die US-Regierung dem amerikanischen Konzern Conoco verwehrt hatte.
Da verbirgt sich die erste Nuß, die von der Clinton-Administration geknackt werden muß: Gegen die extraterritoriale Wirkung solcher Gesetze, wie sie in den USA auch gegen ausländische Firmen mit Investitionen in Kuba in Kraft sind, hat die EU Klage bei der Welthandelsorganisation WTO eingereicht, diese aber vorerst in der Hoffnung auf eine Verhandlungslösung bis zum 15. Oktober ausgesetzt. Sollte diese nicht zustande kommen und die WTO zugunsten der Europäer urteilen, würden im Kongreß einflußreiche Stimmen laut, den WTO- Entscheid zu ignorieren. Bill Clinton wäre dann in einer prekären Zwickmühle: Er müßte sich zwischen der Welthandelsorganisation und innenpolitischen Lobbygruppen entscheiden.
Zu Befriedung derselben wäre es dem US-Präsidenten womöglich am liebsten gewesen, den Total- Konzern mit einem eher symbolischen Sanktiönchen zu strafen, zumal die Firma sich vor dem Iran- Deal geschickt aus dem US-Markt zurückgezogen hatte. Doch Total ist nicht alleine ins Erdgasgeschäft mit Teheran eingestiegen, sondern zusammen mit der russischen Gasprom und dem staatlichen malaysischen Energiekonzern Petronas. Mehrheitsaktionär an der Gasprom ist die Hausfirma von Rußlands Premierminister Wiktor Tschernomyrdin, der wiederum ein ausgezeichnetes Verhältnis zum US-Vizepräsidenten Al Gore pflegt.
Doch nicht nur wegen dieser Männerfreundschaft möchte man mit Moskau keinen offenen Streit um das Iran-Geschäft anfangen. US-Konzerne und Beraterfirmen haben längst den Kaukasus als neue Goldgrube der Ölindustrie ausgemacht. Auf rund 17 Milliarden Tonnen werden die Erdölvorkommen geschätzt. Die aber liegen in einer politisch hochexplosiven Region, die Rußland als ihre Einflußsphäre ansieht. Folglich hat Washington derzeit kein Interesse, das bilaterale Verhältnis mit Beschwerden über Gasproms Iran- Geschäfte zu belasten. Selbst die US-Geheimdienstinformationen über russische Hilfe beim Bau einer iranischen Rakete mit einer Reichweite von 2.000 Kilometern veranlaßten die US-Regierung lediglich dazu, den Fall erst einmal untersuchen zu lassen.
Zeitgewinn ist denn auch das oberste Ziel, das der US-Präsident und seine Berater derzeit verfolgen. Das gilt für den Konflikt mit der EU über die extraterritorialen US-Gesetze wie für den Streit mit Frankreich und dem Total-Konzern, dessen Iran-Deal das US-Außenministerium nun auch untersuchen will. Das gilt für die Hardliner im Kongreß, deren Sanktionsgesetze Bill Clinton zwar unterzeichnet hat, deren Anwendung er aber weitgehend zu verhindern sucht. Die Frage ist, wer schneller die Geduld verliert: die amerikanischen Parlamentarier oder die europäischen Regierungen.
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