: "Das Religiöse ist eine Verbrämung"
■ Für den 27. Oktober hat Scientology eine "Großdemonstration für Religionsfreiheit und Menschenrechte" in der Stadt geplant. Die Sektenbeauftragte des Senats, Anne Rühle, plädiert für eine unaufgeregte G
taz: Innensenator Jörg Schönbohm hat die geplante Demonstration von Scientology in der Stadt als so „alarmierend“ bezeichnet, daß er weitere Schritte mit der Bundesregierung absprechen will.
Teilen Sie die Auffassung des Innensenators, daß angesichts der angeblich erwarteten zehntausend DemonstrationsteilnehmerInnen die Situation alarmierend ist und staatliche Maßnahmen notwendig werden?
Anne Rühle: Wenn eine Gruppe, die in Deutschland nicht verboten ist, hier demonstriert, halte ich das für normal.
Nun halten es viele – nicht nur in Berlin – für einen fatalen Fehler, daß der Verein nicht verboten ist. Ist ein Verbot der richtige Ansatzpunkt?
Seit einigen Monaten wird Scientology fast bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet. Im kommenden Jahr wird man sehen, ob die Erkenntnisse für ein Verbotsverfahren ausreichen oder nicht. Bevor das nicht geklärt ist, nützt es wenig, ständig mit dem Vorschlaghammer „Verbot“ zu kommen.
Nun wundert es doch angesichts des offen antidemokratischen scientologischen Menschenbildes etwas, daß es vor diesem Hintergrund so schwer sein soll, ein Verbot durchzusetzen.
Es reicht nicht aus, ihre Schriften zu zitieren. Man muß den Scientologen nachweisen, daß sie aktiv und kämpferisch gegen die Verfassung arbeiten. Ich denke aber ohnehin, daß ein Verbot in einer Demokratie das absolut letzte Mittel sein sollte. Ein Verbot ist auch immer ein Kurieren am Symptom. Es gilt, stärker die Ursachen wahrzunehmen.
Scientology beruft sich in ihren Protesten auf die Religionsfreiheit.
Was hat deren Ideologie überhaupt mit Religion zu tun?
Das Religiöse ist schlichtweg nur eine Verbrämung. Im Grunde geht es nur um Geld und Macht. Scientology ist nichts anderes als ein kommerzielles Unternehmen, das versucht, zielgerichtet Schlüsselpositionen in der Gesellschaft zu besetzen. Alles in dieser vermeintlichen Kirche ist kommerzialisiert.
Mittelbar gibt es aber auch eine politische Zielsetzung unter den Schlagworten „Clear Deutschland“ und „Clear Planet“. Die Scientologen wollen die Gesellschaft gleichschalten, am besten die ganze Welt, Freiheit benutzen, um sie abzuschaffen.
Wie sähe die vorgestellte Idealgesellschaft auf einem scientologischen Planeten aus?
Das Menschenbild hätte mit unserem Grundgesetz wenig zu tun. Auch das Gesellschaftsbild ist totalitär.
Hinter der scientologischen Ideologie steckt der umdefinierte Begriff von Ethik: Erst werden die Gegenabsichten aus der Umwelt entfernt, also Kritiker. Im zweiten Schritt werden Fremdabsichten eliminiert – also nicht die Kritiker an Scientology, sondern die, die einfach anderer Meinung sind.
Wie aktiv ist der Verein nach Ihren Erkenntnissen zur Zeit in Berlin?
Nach eigenen Angaben gibt es gerade mal 150 bis 200 Aktive. Man muß aber unterscheiden zwischen dem Verein und den wirtschaftlichen Aktivitäten einzelner: Experten gehen davon aus, daß etwa ein Drittel der Umwandlungen in Eigentumswohnungen von scientologynahen Firmen durchgeführt werden.
Und das ist bedrohlich – wenn man bedenkt, was für ein existentielles Gut für den einzelnen seine Wohnung ist.
Wie gefährlich ist der Verein? Und für wen?
Er ist eine Gefahr für den einzelnen, wenn dieser sich in einer bestimmten psychischen Situation befindet, in der man den Hebel ansetzen kann. Für den, der dann in die Fänge von Scientology gerät, besteht die Gefahr einer psychischen, aber auch einer finanziellen Abhängigkeit.
Ein anderes Problem sehe ich aber auf der gesellschaftlichen Ebene: Es ist relativ gleichgültig, ob in Deutschland 10.000 oder 30.000 Scientologen leben, wenn die Anweisung lautet: Besetzt Schlüsselpositionen in Gesellschaft, Verwaltung und Politik! Ein solcher Multiplikator hat viel mehr Einfluß als Tausende von Mitläufern.
Dennoch wehren Sie sich dagegen, das Thema hysterisch oder aufgeregt zu behandeln.
Wie sieht denn dagegen eine unaufgeregte Gegenwehr aus?
Gelassen und souverän bleiben. Und bevor man an ein Verbot denkt, abklären, ob alle anderen juristischen Instrumentarien ausgeschöpft sind: Wird denn erfaßt, ob Verstöße gegen das Strafgesetzbuch von Scientology begangen werden? Kriminalisiert Scientology die Mitglieder? Hat man steuerrechtlich alles ausgenutzt? Wurde ein Gewerbe angemeldet, werden die Beschäftigten versichert?
Wenn man mit entsprechender Courage vorgeht, ist einiges möglich. Und natürlich – Aufklärung.
Aufklärung heißt, der Öffentlichkeit Merkmale und Strukturen nicht nur von Scientology, sondern diverser Psychogruppen und Sekten zu vermitteln. Oft werden Psychogruppen und Sekten in einen Topf geworfen. Was macht überhaupt eine Sekte zur Sekte?
Konfliktträchtige Gruppen bilden eine Merkmalstruktur aus, die Menschen in psychische Abhängigkeit führen kann: Lehre mit Absolutheitsanspruch, strenges Führerprinzip, rigide Organisationsstruktur, Reglementierung des Alltags, zeitliche Absorption des einzelnen, totale Kontrolle bis ins Intimste, Arbeit mit Schuldgefühlen, zum Teil mit bewußtseinsverändernden Methoden.
Viele dieser Merkmale vereint und in ihr Extrem destilliert, das beraubt den Menschen seiner Freiheit.
Als Sektenbeauftragte besuchen Sie diverse dieser Gruppen, Sekten und Psychogruppen. Gibt es Menschen, die mit ihrem Leben innerhalb solcher Strukturen dauerhaft glücklich sind?
Ob dauerhaft, weiß ich nicht, bezweifle das auch. Aber es gibt Leute, die froh sind, die Verantwortung für ihr Leben abzugeben, weil sie sich überfordert fühlen. Auch das ist mit dem Artikel 2 des Grundgesetzes – freie Entfaltung der Persönlichkeit – gedeckt.
Entscheidend ist, daß der einzelne vorher weiß, auf welche Gefahren er sich möglicherweise einläßt. Das heißt, er darf sich nicht allein auf die euphemistische Selbstdarstellung einer solchen Gruppe verlassen, sondern muß auch neutrale und kritische Informationen wahrnehmen. Hier liegt eine wichtige staatliche Aufgabe: Information und Aufklärung. Interview: Jeannette Goddar
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