■ Alljährlich pilgern Nachwuchsautoren auf die Buchmesse
: Der Punkt auf Seite elf

An den Messeständen der großen Publikumsverlage sind sie besonders häufig anzutreffen: hoffnungsvolle Jungautoren, stets leger gekleidet, meist weiblichen Geschlechts und in den besten Jahren. Nur scheinbar interessiert blättern sie in Prospekten und Neuerscheinungen. Längst haben sie aus den Augenwinkeln die Lektoren am Namensschild ausgemacht, um in entscheidender Sekunde ein Bündel vollgetipptes Papier aus der mit „Frauen lesen!“ bedruckten Leinentasche zu ziehen und auf das Tischchen zu knallen, das für die ganz wichtigen Verhandlungen vorgesehen ist. „Tach, ich schreib' Gedichte. Hamse vielleicht Interesse?“ Daß dabei drei volle Pappbecher umkippen und ein Gemisch aus O-Saft und Sekt (schließlich ist es noch früh am Tag) im sündhaft teuren Messeteppich versickert, wird höflich ignoriert.

„Das hat uns gerade noch gefehlt, und scher dich zum Teufel mit deinem Müll!“ – nur werden das redegewandte Lektoren so nie und nimmer sagen. Statt dessen bitten sie darum, das wertvolle Manuskript doch besser per Post an die Verlagsadresse zu senden, wo es von fleißigen Germanistikstudenten meist unverzüglich der Sekundärrohstoffverwertung zugeführt wird. Manchmal wird es auch nach ein, zwei Jahren retourniert. Das höflich formulierte Absageschreiben ist aus den Textbausteinen eines Schreibprogramms für Verlage zusammengebastelt: „Welche Inbrunst! Wir waren völlig hingerissen! Nur paßt es leider nicht in unser Programm.“ Gelesen wurde das Manuskript garantiert nicht, so viel Zeit hat heute niemand mehr.

Lebensbeichten aus dunkler Vergangenheit, Liebes- und Schauerromane, Erinnerungen, Erkenntnisse, und immer wieder Selbsterfahrung – alle zehn Minuten taucht aus dem dumpfen Menschenstrom eine neue Leinentüte auf. „Niemals Papier von fremden Leuten annehmen!“ lautet daher eine alte Regel der Lektoren an den Messeständen. Schließlich will man nicht allabendlich mit einem Sattelschlepper voller Manuskripte im Hotel auftauchen. Das schadet der Bandscheibe und dem Ansehen des Hauses.

Die weitverbreitete Sehnsucht, das Ego mit einem eigenen, schön gestalteten Buch aufzuwerten, drückt auch die Preise derer, die vom Schreiben wirklich etwas verstehen. Mit Büchern läßt sich sehr viel Geld verdienen – es sei denn, man ist der Autor. Auch wenn die Verlage längst begriffen haben, daß ein Buch ein Industrieprodukt ist wie jedes andere („Nur ein verkauftes Buch ist ein gutes Buch“), versuchen sie immer wieder, die Autoren mit schweinösen Verträgen zu knebeln. Bei Jungautoren gelingt ihnen das besonders gut. Da werden meist nur magere Beteiligungen vereinbart, deren korrekte Abrechnung niemand kontrollieren kann.

Aber wer auf Buchmessen mit Leinentaschen baggern geht, den ficht das nicht an. Auch nicht der konspirative und beinahe unsichtbare Bleistiftpunkt, den ein Lektor auf Seite 11 angebracht hat, um einem anderen Lektor zu signalisieren, daß dieses Manuskript schon einmal abgelehnt wurde. Marcel Proust hatte es schließlich auch nicht leicht. Der Leinentasche geht's eh nicht ums Geld, sondern um das, was sie der Welt mitzuteilen hat. Zur Not geht's auch im Copyshop, per „Eigendruck im Selbstverlag“. Oder in einem der Verlage, deren einziger Geschäftszweck darin besteht, die Werke von Selbstverwirklichern in kleiner Auflage zu publizieren und diesen einen überzogenen „Druckkostenzuschuß“ abzuverlangen. In den Handel gelangen diese Bücher nie.

Das aber kann nicht hingenommen werden, und so werden die Leinentaschen auch auf der nächsten Buchmesse wieder auftauchen: „Tach, ich schreib' Gedichte. Hamse vielleicht Interesse?“ Dieter Grönling