piwik no script img

Esoterik: Visionen mit beschränkter Haftung

■ Über 400 Zeilen Streitgespräch: Die Organisatoren von Visionen- und Anti-Visionen-Kongreß diskutieren über New Age, Naivität, linke Leitfiguren, rechte Schicksale, fiese Denkverbote und die Debattenkultur

Die Wellen schlugen hoch: Der Kongreß „Visionen menschlicher Zukunft“, der vor eineinhalb Wochen in Bremen stattfand, wurde von verschiedenen Gruppen scharf angegriffen.

Eso-Blödsinn, zukunftsweisendes Zusammentreffen oder potentiell gefährlich – große Schluchten taten sich in der Einschätzung des Kongresses auf.

Annelie Keil, Professorin an der Uni Bremen, war an der Vorbereitung des „Visionen-Kongresses“beteiligt. Kai Kaschinski, Redakteur der Zeitschrift „alaska“, organisierte mit ASten und anderen Gruppen den „Anti-Visionen-Kongreß“, der parallel veranstaltet wurde.

Die beiden trafen sich in der Redaktion der taz und konfrontierten sich gegenseitig mit ihren Positionen.

taz: Du hast den Kongreß „Visionen menschlicher Zukunft“als esoterischen Kongreß bezeichnet. Was verstehst Du unter Esoterik?

Kai Kaschinski: Ich kritisiere die Esoterik auf ideologiekritischer und politischer Ebene. Esoterische Ansätze basieren auf der kritiklosen Anerkennung von Prozessen, die sie als zwangsläufig und evolutionär begründet betrachten. Ihnen sind zudem die Favorisierung biologistischer Denkmuster und elitärer Gesellschaftsmodelle eigen. Es wird nicht orientiert auf die Veränderung struktureller Zustände, sondern auf die Veränderung des Bewußtseins. Das aber wird nicht in gesellschaftliche Kontexte zurückverfolgt, sondern auf einer stark individualisierenden Ebene belassen. Bei der politischen Bewertung geht es um die Funktion, die Esoterik in politischen Zusammenhängen spielt. Der Kongreß hat durchaus richtige Fragen gestellt – was heißt Gesundheit? welche Rolle spielt Sinnlichkeit?, aber eben auf diese Fragen falsche Antworten gesucht, die antiemanzipativ und reaktionär sind. In der Konsequenz fördert Esoterik Entsolidarisierungsprozesse und paßt damit zu aktuellen politischen Konzepten wie dem Neoliberalismus.

Annelie, hast Du einen esoterischen Kongreß beraten?

Annelie Keil: Wir müssen klären, was wir unter Esoterik und esoterischer Szene verstehen. Der Vorwurf, mit dem der Visionenkongreß permanent konfrontiert wurde, war, daß Esoterik gleichbedeutend mit Faschismus sei. Ich will zunächst erklären, warum ich sage, daß der Visionenkongreß nicht esoterisch war. Ich unterscheide in dem „esoterischen Supermarkt“drei Fraktionen. Da sind zunächst die Sekten wie Scientology. Das sind Rattenfänger, mit denen man politisch umgehen muß. Dann gibt es so etwas wie eine esoterische Szene. Das können wir auch New Age-Szene nennen. Da kommen die unterschiedlichsten Wünsche und Sehnsüchte zusammen; vom Aurafotografen bis zum Lichttherapeuten. Mit denen habe ich genauso wenig zu tun wie mit Rinderwahnsinn. Und schließlich gibt es einen Bereich, den ich für diskussionswürdig halte: Das ist der Bereich der spirituellen Traditionen. Der Versuch dieses Kongresses war, etwas im Bereich der Erwachsenenbildung zu diskutieren. Es war in diesem Sinn kein wissenschaftlicher Kongreß. Verschiedene Denktraditionen sollten in einen Dialog gebracht werden.

Wieso grenzt Du das von der Esoterik ab?

Keil: Weil Esoterik das Schimpfwort für die New Age-Bewegung ist, und die waren nicht auf dem Kongreß.

Also hat Kai eine völlig sinnlose Veranstaltung gemacht?

Kaschinski: Es war ein New-Age-Kongreß in modernisiertem Gewand. Vielleicht trifft New Age die Sache besser. Ich behaupte auch nicht, da waren nur EsoterikerInnen oder New AgerInnen. Aber die waren da eben auch, und in Verbindung mit scheinbar unverfänglichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden sie hofffähig gemacht. Man etabliert durch unschuldig daherkommende Veranstaltungen politische Positionen, die reaktionär und antiemanzipativ sind. Explizit linke Positionen waren auf dem Visionenkongreß dagegen nicht vertreten. Und wenn ich mir ansehe, wer den Kongreß veranstaltet – die Zeitschrift Forum –, dann kann man nicht sagen, er habe nichts mit Esoterik zu tun. Man kann das nicht so trennen, wie Annelie das tut.

Annelie, muß man denn prinzipiell mit allen Leuten reden, auch wenn man die Positionen des Gegenüber absolut nicht teilt?

Keil: Wenn ich den Eindruck hätte, jemand ist Faschist, würde ich den nicht einladen. Öffentlich mit so einem zu diskutieren, halte ich allerdings für richtig. Wenn Kai jetzt einfach dabei bleibt zu sagen, ich nenne den Kongreß jetzt weiterhin esoterisch, dann komme ich an der Stelle nicht weiter. Ich habe einen Kongreß beraten und organisiert – lassen wir mal die Zeitschrift und die darin gedruckten Anzeigen fort –, der von der Zusammensetzung der ReferentInnen so war, daß ich den Eindruck hatte: Das ist das Spektrum, mit dem es sich lohnt, über Zukunftsvisionen zu reden.

Du betonst, man solle den Verlag aus der Debatte raushalten ...

Keil: Nein, nicht rauslassen. Aber wenn man nur auf die Anzeigen starrt und danach den Kongreß beurteilt, dann hat man nicht in das inhaltliche Programm geguckt.

Der Vorwurf ist also, daß Du, Kai, Annelie Naivität vorhälst. Sie redet mit allen und erkennt nicht die Folgen dieser grenzenlosen Dialogbereitschaft.

Kaschinski: Mir geht es nicht um Naivität. Das Problem an der augenblicklichen Debatte ist, daß die öffentliche Kritik an der Esoterik vornehmlich auf bestimmte Personen und die Frage, ob diese faschistoid sind, zugespitzt wird – und zwar auch von Dir. Das blendet aber die auf den ersten Blick weniger spektakulären politischen Konsequenzen aus, die ich bereits genannt habe und die ich für problematischer halte. Es gibt ideologische Parallelen zwischen Esoterik und Nazipolitik in Deutschland. Das ist ein Fakt. Und nun muß man fragen, inwieweit diese Nähen sich in neuen esoterischen Ansätzen widerspiegeln.

Das ist doch der Faschismusvorwurf?

Kaschinski: Der Vorwurf bleibt auch bestehen. Aber das ist nicht dasselbe wie die Frage: Ist Esoterik identisch mit Faschismus? Diese These ist falsch. Man muß sich ansehen, welche Gemeinsamkeiten haben autoritäre Ideologien?

Heißt das dann, daß Du, Annelie, mit Leuten redest, über deren Hintergrund und Einstellungen Du Dir nicht angemessen Gedanken machst?

Keil: Jetzt sage ich mal aggressiv zurück: Ich finde, daß Du, indem Du einen falschen Aufhänger für ein wichtiges Thema in dem Kongreß gesucht hast, das Thema verheizst: Durch diese Art und Weise, ohne richtige Auseinandersetzung darüber, was inhaltlich gelaufen ist, zeichnet Ihr Euch als die eigentlichen Dogmatiker aus. Indem Ihr sagt, so ein Kongreß darf gar nicht stattfinden. Warum mache ich also einen solchen Kongreß? Weil ich sehe, daß viele Leute weder interdisziplinär noch zwischen den Professionen noch, wenn sie eine Therapie machen, mal über das Erfahrene oder Ökologie oder Politik nachdenken. Nenn das naiv. Aber solange transparent ist, woher die Leute ihre Inspirationen beziehen, müssen sie nicht, nur weil sie keine linken Argumentationserwartungen bedienen, faschistoid sein. Ich glaube auch, daß all die kaputten Typen, die durch all diese politökonomischen Schulungen gegangen sind und heute da sitzen und Lichttherapien machen, an inneren Widersprüchen zugrundegegangen sind. Das ist der politische Ärger, den ich habe, und dem muß die Linke sich selbstkritisch auch mal stellen. Wie kommen diese Biografien zustande, die Abwanderung von der Politik in die Esoterik? Aber das, was Ihr macht, ist Publikumsbeschimpfung. Zu sagen: 1.500 Leute sind Guruläufer.

Also ist Kai der eigentliche Dogmatiker und Ausgrenzer?

Kaschinski: Wir sind in unserer Kritik am Kongreß nicht dogmatisch gewesen. Ich habe eingangs betont, daß wir differenzieren zwischen den ReferentInnen und daß auch wir es für notwendig halten, uns mit der Entfremdung und Entsinnlichung in dieser Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dazu gehört in unseren Augen durchaus eine selbstkritische Sicht auf die linke Geschichte. Interessant wird es aber, sobald man sich fragt, warum diese Fragen in einer New Age-Orientierung diskutiert werden, die politisch nicht die Ursachen für Krankheit und Entfremdung aufgreift, sondern Ideologien anbieten, die die Herrschaftsstrukturen am Leben erhalten. Indem sie die Leute darin am Funktionieren hält.

Keil: Ein unglaublicher Vorwurf...

Kaschinski: Du nimmst Deinen Kongreß immer aus dieser Kritiklinie und löst ihn damit zu Unrecht zu sehr von dem ab, was heute in der New Age-Szene diskutiert wird. Wenn man in einen typischen New Age-Laden geht, findet man da nun mal all die Leute, die auf dem Kongreß geredet haben.

Keil: Ich habe in 20 Jahren Politik begriffen, daß wir den objektiven Faktor Subjektivität auf der Strecke gelassen haben. Deshalb sind meine politischen Positionen nicht falsch geworden. Aber ich habe gewagt, zuzugeben, daß meine Kritik an der Kirche mir wesentliche spirituelle Inspirationsquellen genommen hat, die für politische Kämpfe wichtig sind. Ich habe auch spirituelle Überzeugungen. Die brauche ich nicht, um meine Wissenschaft zu betreiben, aber um die Konsequenzen aus meiner Wissenschaft zu leben.

Du hast gerade betont, daß du in spirituellen Ansätzen Orientierung für Dich findest. Wie grenzt Du denn ab zwischen authentischen spirituellen Erfahrungen und offensichtlichem Schwachsinn?

Keil: Ich bin etwas vorsichtig geworden zu sagen, das ist alles Käse.

Aber welchen Sinn macht denn z.B. die Unterhaltung mit Jürgen Fischer, der behauptet, er könne mit Reichs Geist und den Erzengeln reden?

Keil: Fischer, ein anerkannter Hersteller von Reichs Orgonakkumulatoren, hat ezählt, daß er ein Erlebnis der erwähnten Art hatte. Das muß ich erst einmal ernst nehmen.

Warum?

Keil: Als die Kritik am Kongreß mit dem Aufhänger Fischer kam, habe ich mich schon gefragt: Müssen wir jetzt auch über diese Erlebnisse reden? Dann ging ich nach Hause, hatte einen echten Alptraum und dachte: Scheiße, jetzt bist Du genau darauf reingefallen. Du machst nämlich ein Verbot. Früher haben wir das Berufsverbot genannt. Da habe ich gesagt: Nee. Wir Linken haben doch nicht die Wahrheit gepachtet.

Deine Argumentation nimmt Dir aber alle Kriterien, wonach Du noch unterscheiden kannst, wann jemand authentische Erfahrungen vorträgt und wo jemand Scharlatanerie betreibt.

Keil: Aber warum sollte ich dem Mann die Erfahrungen bestreiten?

Aber wenn ich nun – voll authentisch – behaupte, ich habe Adolf Hitler gesehen, und der hat mir eine neue Weltordnung eröffnet, mußt Du mich doch nicht schon ernst nehmen.

Keil: Aber ich vertrete sowas doch nicht.

Aber Du sagst, man muß mit diesen Menschen reden, und gibst Ihnen im Rahmen der Messe sogar ein hervorragendes Forum.

Keil: Nein, ich muß es erst einmal zur Kenntnis nehmen, und dann fange ich an zu reden. Ich will nur nicht in die Situation kommen, den Mann zu verbieten. Wenn jemand über Karma redet und irrational wird, da habe ich Kriterien, wie ich das aushebeln kann.

Kaschinski: Die Debatte um Fischer und seine Orgontechniken ist nicht so sinnvoll, weil da jeder sofort schreit: „Das ist typisch esoterisch!“

Keil: Willst Du damit sagen, der Orgonakkumulator habe was mit Esoterik zu tun?

Kaschinski: Ja.

Keil: Da halte ich Dir entgegenhalten: Kläre Dich auf. Und wenn Du dann immer noch sagst: Das ist Esoterik, dann kann ich nur sagen: Gut, wenn Du dieses Label überall draufdrückst, wo es um Energie geht, dann mußt Du in der Ökologie eine Menge Fragen stellen.

Kaschinski: Das mache ich auch. Ich möchte meine Kritik nochmals von der Seite der völkischen Bewegung um die Jahrhundertwende betrachten, aus der die Esoterik sich entwickelt hat. Wenn man hier die zentralen Ideologieelemente wie Volk, Heimat, artgemäße Religion, Kulturgeschichte und Rasse sowie ihren politischen und sozialen Hintergrund in die Sprache der heutigen New Age-Diskussion übersetzt, verdeutlicht sich unsere Kritik. Die Affinitäten zwischen aktueller Esoterik und völkischem Denken sind unübersehbar.

Keil: Willst Du denn nun auch noch behaupten, ich habe einen völkischen Kongreß gemacht? Du thematisierst die richtigen Fragen am falschen Objekt. Du drängst mich zu einer Beweisführung, die ich überhaupt nicht einsehe, wo ich keine Bezüge sehe.

Kaschinski: Es ging mir nicht darum, die esoterische Bewegung als völkisch zu bezeichnen, sondern die Traditionen zu benennen, aus der sie sich unbestreitbar speist. Und da komme ich wieder zurück auf den Kongreß. Da finde ich Leute wie Rupert Sheldrake. Wenn ich sehe, wie er in der New Age-Bewegung rezipiert wird, dann wird daraus gesponnen: Es gibt Kräfte, die weltweit umspannend wirken, die sich in allen Lebewesen wiederfinden und sie bestimmen. Genau daraus werden dann schließlich die deterministischen Zivilisationsvorstellungen entwickelt.

Keil: Aber Du widersprichst Dir. Daß Sheldrake falsch rezipiert wird, kann kein Argument gegen den Kongreß sein, sondern das ist ein Argument für ihn, nämlich Orte zu schaffen, wo Auseinandersetzungen nicht so laufen wie in der New Age-Szene. Das kann natürlich nicht verhindern, daß es Leute gibt, die mit diesen Theorien Mist verbinden. Wenn man aber alle in die Kiste „Ihr werdet aber von den New Age-Leuten gelesen“tut, wenn das also der neue Jude ist, dann finde ich das problematisch.

Warum glaubst Du, Kai, das es nichts bringt, mit den Leuten zu reden, mit denen Annelie den Dialog sucht?

Kaschinski: Es geht mir nicht um die Leute. Ich beschreibe diesen Kongreß nur nicht in diesem politischen Vakuum, wie es Annelie tut.

Also ist Annelie doch naiv?

Kaschinski: Das nenne ich nicht naiv, weil Naivität immer nur abwertend gemeint ist.

Keil: Deine anderen Vorwürfe sind doch nicht weniger abwertend! Aber da mach Dir mal keine Sorgen. Ich lasse mich lieber als naiv denn als irrational bezeichnen.

Kaschinski: Wir haben einen politischen Dissens, das ist nicht Naivität.

Fragen: zott und cd

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen