■ Die Berliner Justizsenatorin fordert ein Kinderwahlrecht: One Windel, one vote?
„Etwas, das es noch nie gegeben hat, ist zunächst einmal utopisch, abwegig und höchst suspekt“, kommentiert Berlins Justizsenatorin Lore Maria Peschel- Gutzeit ihren Vorschlag für ein Kinderwahlrecht. Daß er abwegig und utopisch ist, das viel zu gradlinige Denken in Politik und Juristerei durcheinanderbringt, ist zunächst einmal höchst sympathisch.
Und in zweierlei Hinsicht hat sie ja völlig recht. Erstens: Wenn man sich darauf einigt, daß auch kleine Hosenscheißer zur Spezies Mensch gehören und der Grundsatz der repräsentativen Demokratie „one man, one vote“ lautet, dann kann die rechtsdogmatische Folgerung nur heißen: „One baby, one vote“. So ähnlich argumentiert übrigens auch die Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. Zweitens: Hiesige PolitikerInnen wissen nur zu genau, daß sie auf Menschen ohne Wahlrecht keine Rücksicht zu nehmen brauchen. Ausländerpolitisch Engagierte setzen deshalb auf das (kommunale) Wahlrecht für Menschen ohne deutschen Paß: Sie erhoffen sich, daß dadurch die strukturelle Rücksichtslosigkeit deutscher Politik gegenüber Nichtdeutschen beseitigt werden kann. Peschel-Gutzeit strategisches Kalkül ist ähnlich: Sie erhofft sich, daß mit ihrem Vorschlag die strukturelle Rücksichtslosigkeit der Politik gegenüber „politikunfähigen“ Familien aufgehoben werden kann.
Zu fürchten ist nur, daß das Kalkül nicht aufgeht. Denn es stecken gleich zwei Denkfehler darin. Zum einen sind die Eltern keine neutralen Mittler des Wünsche ihrer Kinder. Eltern werden ihren Willen und ihre Parteienpräferenz durchsetzen. Oder soll ich etwa CDU wählen, nur weil mein vierjähriger Sohn Claudia Nolte gut findet? Bloß weil er den Vornamen Claudia hübsch findet? Der im Endeffekt unkontrollierbare Wählerstimmenverleih an die Sorgeberechtigten stärkt letztlich die Rechte der Eltern und nicht der Kinder. Zum anderen sind Familien in der Mehrheit der Fälle keine friedfertigen Adventskranzflechtrunden, keine homogenen Gebilde mit homogenen Wünschen. Was würde eine „familienfreundliche Politik“ definieren? Viele Männer verstehen darunter, daß sie arbeiten gehen können und Mutti die Wiege schon schaukelt. Viele Frauen verstehen darunter, daß sie Beruf und Kinderaufzucht vereinbaren können und Männe auch an der Spüle steht. Viele Kinder verstehen darunter, daß Mami und Papi gaaaanz viel Zeit haben und nie wieder arbeiten müssen. Die viele Zeit könnte dann für den innerfamiliären Streit draufgehen, welche der Parteien die bessere Familienpolitik betreibt. Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen