piwik no script img

Eltern helfen Kindern zur Macht

■ Die Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit will Eltern bei politischen Wahlen stellvertretend für ihre Kinder abstimmen lassen. Neuerungen seien stets "höchst suspekt"

Freiburg (taz) – Eltern sollen bei politischen Wahlen stellvertretend für ihre Kinder abstimmen können. Dies fordert die Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit in der Neuen Juristischen Wochenschrift und erntete damit großes Presseecho. Neu ist diese Forderung zwar nicht, sie wurde nun aber wohl zum ersten Mal von einer prominenten Sozialdemokratin aufgegriffen.

„Dies wäre ein großer Schritt in Richtung Familien- und Kindergerechtigkeit unserer Gesellschaft“, hofft Peschel-Gutzeit. Wenn Familien mit minderjährigen Kindern über ein verstärktes Wahlrecht mehr Einfluß auf die Politik nehmen können, dann könnten endlich „andere Schwerpunkte“ durchgesetzt werden.

Vor allem materielle Anliegen kommen der Senatorin in den Sinn: Eine stärkere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Rente oder eine Erhöhung des Kindergeldes. „Für 10 Millionen Senioren wird das dreifache Sozialbudget aufgewendet wie für 12,5 Millionen Minderjährige und ihre Familien“, rechnet sie vor und vermutet, daß dies wohl etwas mit dem Wahlrecht zu tun haben müsse. Eltern sollen dabei keine echte Zusatzstimme erhalten (auch dies wurde schon vorgeschlagen), sondern stellvertretend für ihre Kinder wählen. Im Ergebnis macht dies zwar keinen Unterschied, wahrt jedoch den Anschein einer „Gleichheit der Wahl“. Rechtlich problematisch wäre nur noch, daß die Wahl eigentlich „höchstpersönlich“ ausgeführt werden muß. Die Befürworter des Elternwahlrechts weisen zwar darauf hin, daß sich auch gebrechliche Personen beim Wahlakt helfen lassen dürfen. Dort geht es (zumindest offiziell) nur um technische Hilfe, nicht um eine stellvertretende inhaltliche Entscheidung. Eine Grundgesetzänderung wäre für das Elternwahlrecht auf jeden Fall erforderlich. Auch praktische Fragen müßten noch geklärt werden, da Kinder ja in der Regel zwei Elternteile haben. Vorgeschlagen wurde, daß Vater und Mutter jeweils eine halbe Stimme erhalten. Andere Befürworter gehen davon aus, daß sich die Eltern, wie bei anderen Erziehungsfragen auch, schon irgendwie einigen werden. Notfalls müsse eben das Vormundschaftsgericht auf die Eltern einwirken, damit diese eine dem Kindeswohl entsprechende Entscheidung treffen.

Der Kieler Rechtsprofessor Hans Hattenhauer hat die Forderung nach einem Elternwahlrecht bis in die 40er Jahre zurückverfolgt. Aufgekommen war sie im Kreisauer Kreis der Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 um Carl Goerdeler. Als das Grundgesetz entstand, wurde ein Elternwahlrecht jedoch als „Unsinn“ verworfen. Nach einer längeren Pause griffen 1977 der Bayreuther Jurist Konrad Löw und die CDU-Politikerin Renate Hellwig die Idee wieder auf. Anfang der 90er Jahre begannen sich auch Kinderschutz- und Familienverbände für ein Elternwahlrecht stark zu machen. Der katholische Bischof Johannes Dyba, berüchtigt als militanter Abtreibungsgegner, ging mit gutem Beispiel voran und führte 1995 das Elternwahlrecht in seiner Diözese für die Wahlen zu den Pfarrgemeinderäten ein.

Peschel-Gutzeit sieht sich als Teil einer großen Bewegung zur Ausweitung des Wahlrechts: „So durften einst nur Personen von Stand, dann auch selbständige Bürger, später jeder volljährige Mann, also auch die Farbigen in den USA, und schließlich sogar die Frauen wählen.“ Wer sich solchermaßen mit dem Mantel der Geschichte umhüllt, kann auch Hohn und Kritik leichter ertragen. „Etwas, das es noch nie gegeben hat“, schreibt Peschel-Gutzeit, „ist zunächst einmal utopisch, abwegig und höchst suspekt.“ Christian Rath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen