: „Entweder bescheuert oder pleite“
Nach dem heutigen Hertha-Spiel will der Verein über die Trainerfrage entscheiden. Ersatz steht freilich nicht bereit. Röber übt sich derweil in Galgenhumor ■ Von Jürgen Schulz
Wird Hertha BSC im heutigen Bundesliga-Spiel gegen den Karlsruher SC (15.30 Uhr, Olympiastadion) von einem Scheintoten betreut? Zumindest hat es nach den Geschehnissen der vergangenen Tage den Anschein, als sei Coach Jürgen Röber in Berlin nur noch ein Übungsleiter auf Abruf. Zum traurigen Höhepunkt der angelaufenen Trainer-Demontage geriet am Donnerstag die obligatorische Pressekonferenz, auf der – anders als sonst, wenn es Erfolge zu vermelden gibt – kein führender Vereinsvertreter dem Fußballehrer zur Seite stand.
„In dieser Form habe ich so was noch nie erlebt“, sinnierte der Alleingelassene im Blitzgewitter der Medienvertreter. Zugleich debattierten, nur wenige Kilometer entfernt, die Führungsgremien des Bundesliga-Aufsteigers über das Schicksal des Sportlichen Leiters. Dabei zeichnete sich bereits im Vorfeld die Tendenz ab, Röber nach dem Match gegen Karlsruhe zu entlassen. „Eine Entscheidung wird in den nächsten Tagen fallen“, ließ Herthas Präsident Manfred Zemaitat verlauten.
Die Daumen zeigen nach unten. Der Coach weiß, daß allenfalls ein haushoher Sieg gegen die Badenser, einhergehend mit zirzensischen Kunststücken seiner Mannschaft, seinen Job retten könnte. Aber angesichts der peinlichen Vorstellungen von Hertha BSC, die den Neuling auf den letzten Tabellenplatz haben abstürzen lassen, ist mit Wunderdingen gegen die Gäste um den mit Spreewasser getauften Nationalspieler Thomas Häßler nicht zu rechnen. „Ich habe keine Chance, doch die will ich nutzen“, mimt „Zombie“ Röber den lebhaften Sponti.
Was nun, Hertha? Das bevorstehende Stühlerücken, dem wohl auch Co-Trainer Bernd Storck zum Opfer fallen dürfte, übertüncht nur das Dilemma des Hauptstadt-Klubs, der – wieder einmal – bestätigt, daß er bestenfalls im Inszenieren von Provinzpossen Extraklasse darstellt. Spätestens nach dem blamablen 0:4 in Rostock vor Monatsfrist hätten die Verantwortlichen reagieren müssen.
Aber anstatt die Konsequenzen aus dem traurigen Offenbarungseid an der Ostsee zu ziehen, gefielen sich Aufsichtsrat und Präsidium in Grabenkämpfen. Vor allem der atemberaubende Frontenwechsel von Manager Dieter Hoeneß, der immerhin mit Röber für die teuren Fehleinkäufe auf dem Spielermarkt verantwortlich zeichnet, ins Lager der vermeintlichen Gewinner (und Röber-Opponenten) verblüffte selbst hartgesottene Klub-Chronisten.
Nun also, nach nur einem Sieg aus elf Spielen, soll das sich anbahnende „Bauernopfer“ Röber die Wende zum Besseren einleiten. Einen möglichen Nachfolger auf dem Trainerstuhl haben die Herrschaften freilich nicht parat. Der am häufigsten genannte Kandidat, der in Basel gescheiterte Jörg Berger, fand nicht das Plazet des sportlichen Gurus bei der blau-weißen Hertha, Robert Schwan. Vielleicht weil der rüstige alte Herr mit seinen 75 Lenzen noch immer in den Alpen herumkraxelt? Oder weil er als Manager in den sechziger Jahren ein junges Genie namens Franz Beckenbauer zum deutschen Fußball-„Kaiser“ krönte und diesen später vor dem Zugriff bundesdeutscher Finanzbehörden bewahrte?
Dabei scheint vergessen, daß derselbe Schwan vor dieser Saison vehement für eine langfristige Vertragsverlängerung mit dem nun zum Abschuß freigegebenen Röber plädierte. Aber auch eine Analyse der letzten Bundesligasaison 1990/91 müßte die Herthaner stutzig machen. Nachdem der damalige Erfolgstrainer Werner Fuchs nach wenigen Spieltagen und wesentlich mehr Treueschwüren in die Wüste geschickt worden war, fuhren dessen Nachfolger das Berliner Fußballflaggschiff vollends auf Grund: Der Ungar Pal Cernai holte aus elf Spielen magere sieben Zähler; Trainer Nummer drei, die rheinische Frohnatur Peter Neururer, brachte es gar nur auf lächerliche zwei Pünktchen in elf Partien, bevor auch er gefeuert wurde.
„Nichts, was ich im Fußball erlebt habe, konnte mich auf das vorbereiten, was ich in Berlin erleben mußte“, stellte der weitgereiste Weltmann Cernai später fest. Neururer erklärte kurzerhand alle Kollegen, die bei Hertha anheuern, für bescheuert oder pleite.
Heute muß sich Jürgen Röber auf eine Abschiedsvorstellung vor heimischem Publikum einstellen. „Sicher ist das keine leichte Situation für mich“, erklärt der 43jährige, der im Januar 1996 nach Berlin kam und die Hertha ins bundesdeutsche Oberhaus führte. Und wieder einmal könnte der Karlsruher SC Schicksal spielen. Schon im April 1995 mußte der damals beim VfB Stuttgart engagierte Röber nach einem 1:3 gegen die Badener seinen Platz räumen.
Anders als in Württemberg hinterließe der Trainer in der Hauptstadt ein denkbar schweres Erbe. Zwar sind noch 23 Spiele in der laufenden Saison zu absolvieren, doch Hertha trennen bereits 34 Zähler von der als „rettendes Ufer“ im Abstiegskampf angesehenen Grenze von 40 Punkten. Im Klartext bedeutet dies, daß den Berlinern – statistisch gesehen – nicht einmal mehr 23 Unentschieden helfen würden, was andernorts durchaus als stolze Erfolgsserie durchgehen könnte. Niederlagen verbieten sich in dieser prekären Situation von ganz allein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen