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Kampf um den rechten Glauben

In Israel wird der Zwist zwischen Orthodoxen und Reformjuden nun auch im Parlament und vor der Justiz ausgefochten. Gestern zogen beide Seiten ihre Eingaben an das oberste Gericht zurück – vorläufig  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

In letzter Minute ist gestern in Israel ein drohender religiöser Eklat zwischen orthodoxen und liberalen Juden hinausgeschoben worden. Beide Fraktionen, Reformjuden und Konservative, setzten ihre Eingaben beim obersten Gericht für drei Monate aus. Damit folgten sie dem Vorschlag eines Vermittlungskomitees unter Vorsitz von Finanzminister Yaakov Neeman.

Streitpunkt sind zwei Gesetzentwürfe, die von den religiösen und orthodoxen Parteien vorgelegt worden sind. Mit ihnen sollen die liberalen Juden von einer Teilhabe am institutionellen religiösen Leben in Israel ausgeschlossen werden. Die Orthodoxen verlangen, den bisherigen Status quo gesetzlich festzuschreiben. Konvertierungen zum Judentum, die das automatische Recht auf Staatsbürgerschaft garantieren, werden in Israel bislang nur anerkannt, wenn sie vom orthodoxen Rabbinat durchgeführt werden. In den Religionsräten, die in jeder Stadt oder Gemeinde für den Erhalt der Synagogen oder die Anerkennung von Hochzeiten zuständig sind, sitzen bislang nur orthodoxe Juden. Vor drei Monaten hatte das oberste israelische Gericht in einem Präzedenzfall erstmals die Wahl einer Reformjüdin in den Religionsrat von Netanja für Rechtens erklärt. Bislang haben die orthodoxen Mitglieder der Reformjüdin jedoch den Zutritt zu den Tagungen des Religionsrates verwehrt. Um einem Gerichtsbeschluß zuvorzukommen, hatte die Regierung am Montag erklärt, die umstrittenen Gesetzesvorlagen sofort im Parlament einzubringen. Nach dem Einlenken der liberalen Juden wird erwartet, daß die Regierung die Gesetzesvorhaben ebenfalls auf drei Monate aussetzen wird.

Noch am Sonntag waren 20 liberale Rabbiner aus den USA nach Israel gereist, um in Gesprächen mit Neeman und Ministerpräsident Netanjahu einen Vergleich zu finden. Den Vorschlag Neemans, die Gespräche bis Ende Januar fortzuführen, hatten die Reform- und konservativen Rabbiner am Montag abend jedoch noch abgelehnt. Der Führer der konservativen Juden, Ehud Bandel, erklärte, daß es weder auf seiten der Regierung noch des orthodoxen Rabbinats Kompromißbereitschaft gebe und jeder weitere Aufschub nur Zeitverschwendung sei. Neeman nannte diese Entscheidung die größte Katastrophe seit der Zerstörung des dritten Tempels. Auch in der Knesset war diese Haltung bei Vertretern aller Parteien auf Widerspruch gestoßen.

Bereits in der vergangenen Woche hatte das Neeman-Komitee einen Kompromiß vorgelegt, der von den Reform- und konservativen Juden akzeptiert, jedoch von den orthodoxen Parteien und dem Obersten Rabbinat entschieden abgelehnt worden war. Laut diesem Kompromiß sollte ein zentrales Institut für religiöse Konvertierungen aller drei Strömungen des Judentums gebildet werden. Die letztliche Anerkennung als Jude blieb danach jedoch dem orthodoxen Rabbinat vorbehalten. Hochzeiten sollten dagegen auch von nichtorthodoxen Rabbinern durchgeführt werden können, allerdings in Anwesenheit von zwei „Zeugen“ des Obersten orthodoxen Rabbinats. Auch wenn dieser Kompromiß weit hinter den Erwartungen der liberalen Juden zurückblieb, wäre Reform- und konservativen Juden damit erstmals der Einstieg in das institutionelle, religiöse Leben gelungen.

Der drohende religiöse Bruch in Israel hätte nach der Erklärung Neemans vor allem die Beziehungen zu den US-amerikanischen Juden schwer belastet, deren finanzielle Unterstützung für Israel sich auf rund 50 Millionen Dollar pro Jahr beläuft. Während die Anhänger der liberaleren Ausprägungen des Judentums in Israel nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen, stellen sie in den USA rund 90 Prozent der in Synagogen registrierten Juden. In den USA leben mehr als sechs Millionen, in Israel rund 4,7 Millionen Juden. Die großen jüdischen Organisationen in den USA, die Mitte des kommenden Monats zur ihrer jährlichen Konferenz in Illinois zusammenkommen, hatten entschiedenen Widerstand gegen den „religiösen Zwang der Orthodoxie“ angekündigt. Auch drohte ein offener Konflikt zwischen den US-Juden und Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Sein Büro beschuldigte in einer Erklärung „politische Kreise“, den Konflikt zu suchen, um die „Einheit der Juden“ zu zerbrechen.

Ob das Neeman-Komitee, das bereits im Mai dieses Jahres eingesetzt worden war, tatsächlich in drei Monaten einen tragfähigen Kompromiß finden kann, ist fraglich. Die 23 orthodoxen Abgeordneten in der Knesset lehnen jeden Kompromiß ab und haben Netanjahu unverblümt mit dem Bruch der Regierungskoalition gedroht, sollte er von der Verabschiedung des Konvertierungsgesetzes, das Teil der Koalitionsvereinbarung sei, zurücktreten.

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