■ Schon lange kränkelten die Börsen Südostasiens - ohne globale Folgen. Jetzt purzelten die Kurse in Hongkong und New York. Dennoch sehen Finanzexperten nur geringe Gefahren für Konjunktur und Arbeitsplätze in Deutschland: Chinakracher schre
Schon lange kränkelten die Börsen Südostasiens – ohne globale Folgen. Jetzt purzelten die Kurse in Hongkong
und New York. Dennoch sehen Finanzexperten nur geringe Gefahren für Konjunktur und Arbeitsplätze in Deutschland
Chinakracher schrecken Broker
Die Aktien fallen weltweit wie seit zehn Jahren nicht mehr. Ist nun wirklich eine Krise der Weltwirtschaft da, wie es die aufgeregten Kommentare der Börsenhändler und die Sondersendungen in Radio und Fernsehen nahelegen? Die Experten meinen: „Nein“.
Eine Krise kann getrost das Geschehen in den Tigerländern genannt werden, den Wirtschaftswunderländern in Südostasien. Der Grund: In den letzten Jahren wurde wie wild mit geliehenem Geld in Fabriken, Straßen und sonstige Infrastruktur investiert. Da konnte selbst das rasante Wirtschaftswachstum der Region nicht mithalten. Die Kapazitäten waren teilweise nicht ausgelastet, Konzernen drohte die Pleite.
Diese regionalen Schwierigkeiten wirkten sich bei uns kaum aus – bis das Scharnier Hongkong ins Spiel kam, dieser gigantische Import-Export-Quirl Asiens. Die dortige Verwaltung will mit Unterstützung der neuen Regierung in Peking unbedingt den Hongkong- Dollar an den US-Dollar gekoppelt halten. Doch warum sollte Hongkong von der Wirtschaftskrise in Südostasien unbehelligt bleiben, fragten sich die internationalen Devisenhändler. Sie versuchen seit einer Woche, den Hongkong-Dollar zu drücken, die Verwaltung der ehemaligen britischen Kronkolonie hielt Ende letzter Woche mit einer enormen Zinssteigerung dagegen. Und wie immer bedeuten schlagartig erhöhte Zinsen einen mehr oder weniger kleinen Crash an der Landesbörse.
Damit war nach den weltweit unbedeutenden Tigerbörsen wie Thailand oder Malaysia erstmals eine der großen Börsen der Welt abgestürzt. Egal wie der Kampf um den Hongkong-Dollar ausgeht, die tagelangen Kursstürze zwischen fünf und 14 Prozent lieferten den Funken für ein wahres Feuerwerk an den Weltbörsen. Wie eine Reihe von Chinakrachern platzten nacheinander die hohen Kurse in Deutschland, England und den USA.
Dabei werden auf dem Papier erhebliche Werte vernichtet: Im September lag der Wert der an der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelten Aktien bei 1.400 Milliarden Mark. In den letzten Tagen sind die Kurse um etwa 15 Prozent gesunken. Damit ist das Vermögen allein der Anleger in Frankfurt am Main um gut 200 Milliarden Mark gefallen.
„Wir sehen aber kaum Auswirkungen auf die Konjunktur und damit auf die Arbeitsplätze“, meinte gestern Rolf Schneider, Leiter der Konjunkturforschung bei der Dresdner Bank. „Beim großen Crash 1987 rutschten die Aktienkurse um 30 Prozent nach unten“, erinnert Schneider, „die Wirtschaft wuchs danach aber sogar beschleunigt weiter.“
Eine gewisse, wenn auch geringe Gefahr sieht dagegen Horst Köhler, der Präsident des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. „Ein Dämpfer beim Wirtschaftswachstum um 0,3 bis 0,5 Prozent ist nicht auszuschließen“, sagte er gestern. „Wir sind schließlich eingebunden in die Weltwirtschaft.“ Derzeit wächst die Wirtschaft in Deutschland mit gut zwei Prozent.
Die Handelsbeziehungen mit den derzeit betroffenen Ländern in Südostasien machen aber nur etwa fünf Prozent des deutschen Außenhandels aus. Deshalb sieht auch Michael Pfeiffer, der Leiter der Außenwirtschaftsabteilung des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), nicht allzu schwarz. „Die deutschen Exporte dorthin werden angesichts der schwachen Währungen in manchen Ländern teurer, die Importe von dort aber billiger. Das wird die Industrie an den Konsumenten weitergeben, zum Beispiel bei der Unterhaltungselektronik“, schätzt Pfeiffer. „Langfristig bleibt Asien aber der Wachstumsmarkt, der er war“, so Pfeiffer, „und gerade jetzt lohnt es sich, dort zu investieren. Denn jetzt ist es preiswert.“
Während die Auswirkungen auf die Statistiken der Arbeitsämter in Deutschland also klein sein werden, haben andere direkte Nachteile von den Kursstürzen. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – diese Weisheit von Michail Gorbatschow bekommen Unternehmen zu spüren, die in den nächsten Tagen und Wochen an die Börse wollen. Sie erhalten plötzlich weniger Geld für ihre Aktien, weil Anleger nun vorsichtiger sind. So mußte Volkswagen gestern die Emission von sechs Millionen neuen Aktien auf „unbestimmte Zeit“ verschieben. Der Konzern wollte damit eigentlich sieben Milliarden Mark einfahren – bei einem Kurs von gut 1.160 Mark pro Aktie. Gestern fielen die VW-Anteile aber bis auf 960 Mark. Bei diesem Stand hätte VW 1,2 Milliarden Mark weniger eingenommen als geplant. Freuen können sich Unternehmen wie die Lufthansa oder Pro 7. Sie haben ihre Aktien gerade noch rechtzeitig an der Börse plaziert.
Bei all dem die Ruhe bewahrt der greise Börsenguru Andre Kostolany. Notwendig seien jetzt „Geduld und Nerven“, sagte der 91jährige gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. „Ich habe schon etwa zehn Mal solche Rückschläge erlebt.“ Für ihn ist es ganz normal, daß die unerfahrenen Börsenneulinge einen Nasenstüber bekamen: „Leute, die vor zwei Jahren noch nicht wußten, was eine Aktie ist, wollten auf den fahrenden Zug aufspringen. Das ist das Ergebnis.“ Reiner Metzger
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