■ Kommentar: Arbeiterfürsten
Wie kauft ein Konzern einen ÖTV-Vorsitzenden? Indem man ihm statt seines Gewerkschaftsgehalts von unter 200.000 Mark rund 700.000 Mark pro Jahr als Konzernvorstand zahlt. Ungefähr diese Summe wird ÖTV-Chef Kurt Lange zukünftig bei der Bewag erhalten. Der Vorstandsposten stellt zwar nicht Langes persönliche und politische Qualitäten in Frage, zeigt aber, wie das System funktioniert. Hierzulande sind Unternehmer und Gewerkschafter Partner – Sozialpartner. Durch die gesetzlich festgelegte Mitbestimmung sitzen die Gewerkschafter in den Aufsichtsräten und sind auch als Vorstandsmitglieder mitverantwortlich für das Wohl der Konzerne. Ihr fürstliches Gehalt, das sie den Kapitalvertretern gleichstellt, ist auch ein individueller Ausgleich dafür, daß die Gewerkschafter innerhalb der Betriebe die Interessen der Belegschaft nur noch in engen Grenzen wahrnehmen können. Dieses Geschäft akzeptiert auch Kurt Lange, bislang schon im Aufsichtsrat der Bewag. Denn er wird bei der Bewag mitverantwortlich sein, die Zahl des Personals zu reduzieren – sozialverträglich, versteht sich.
Langes Wechsel zur Bewag kann auch als Eingeständnis gelten, daß die von ihm als ÖTV-Chef bekämpfte Strategie des Senats, die landeseigenen Unternehmen zu privatisieren, schließlich obsiegen wird. Der Verkauf des Energieunternehmens war nur der Anfang: Es folgen die Gasag und die Wasserbetriebe, vermutlich auch die Stadtreinigung, die Hafen- und Verkehrsbetriebe. Denn in der Kasse des Senats fehlen Milliarden, die durch den Verkauf der Betriebe hereinkommen sollen. Ob diese Politik haushaltstechnisch zum Erfolg führt und für das Land langfristig von Nutzen ist, kann heute kaum jemand seriös beurteilen. Wenn aber der oberste Gegner dieser Strategie nun die Seiten wechselt, ist auch dem letzten öffentlich Beschäftigten klar: Der Widerstand der ÖTV kann nur hinhaltender Natur sein. Kurt Lange streckt die Waffen. Hannes Koch
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