■ Zwei Stunden Stromausfall in der taz – zwei Stunden
: „Bringt das Blatt raus! Egal, wie!“

Zu Recht genießt die taz den Ruf, mit dem allermodernsten Equipment ausgerüstet zu sein. Wo andere Redaktionen noch mit Textverarbeitungssystemen aus den 80er Jahren arbeiten, sind in der taz längst Spracherkennungsprogramme im Einsatz; während anderswo noch umständlich mit Bleistift und Lineal herumgefummelt wird, verschieben unsere Graphiker Fotos und Schlagzeilen durch bloßen Blickkontakt mittels ihrer Layoutbrillen. Ein imposanter Zentralrechner im Keller der Kochstraße 18, dessen Hebel, Knöpfe und Schalter das Herz eines jeden Technikfreaks höher schlagen lassen, steuert die zahlreichen Hilfsmittel unserer Zeitung.

Die tollste Technik nützt jedoch nichts, wenn der Strom ausfällt. Und genau das geschah vor zwei Tagen, kurz vor Produktionsschluß: Plötzlich war es zappenduster. „Nichts geht mehr!“ erscholl der Ruf aus allen Redaktionsräumen bzw. „Rien ne va plus!“ (Le Monde diplomatique). Ich befand mich zu diesem Zeitpunkt mit unserem Praktikanten im Untergeschoß, wo ich ihm einen Blick auf den Zentralrechner gewährt hatte. Über uns brach derweil das Chaos aus. Die Kollegen stolperten kopflos durch die Flure und übereinander, rissen Schränke um und prallten gegen Türen. Im Treppenhaus stürzte eine Genossenschafterbesuchergruppe vom dritten in den zweiten Stock und brach sich fünf Beine. Aus der Lokalredaktion wurde ein kollektiver Nervenzusammenbruch gemeldet; im Feuilleton hielt man sich an den Händen und intonierte Fürbitten; im Wirtschaftsressort kam es zu einer Spontanorgie.

Länger als eine Stunde gelang es niemandem, Ordnung zu schaffen; nicht zuletzt deshalb, weil Chef vom Dienst Hillenbrand seinem Ruf als Haushysteriker in vollem Umfang gerecht wurde: Kaum hatte sich an einer Stelle die Lage entspannt, brach Hillenbrand aus dem Dunkel herein, löste mit seinen panischen Schreien erneut Unruhe aus.

Erst als die Notbeleuchtung aktiviert war – die Telefonzentrale gab Grubenlampen aus, die Fotoredaktion behalf sich mit Blitzlicht –, geriet die Situation wieder unter Kontrolle. Und endlich wurden auch die verzweifelten Hilferufe des Chefredakteurs Rediske bemerkt, der im Fahrstuhl feststeckte. Während die Hausmeisterin sich bemühte, ihn aus seinem Gefängnis herauszusägen, gab der Boß Anweisungen: „Bringt das Blatt raus! Egal, wie! Und schafft mir einen Schuldigen herbei! Zack, zack!“

Genau – wer war eigentlich verantwortlich für den Stromausfall? Schnell einigte man sich in einer Vollversammlung auf den Ökoredakteur Metzger, der schon seit einiger Zeit mit seinen Sonnenkollektorbasteleien aufgefallen war und wiederholt davon gesprochen hatte, die taz mit einer natürlichen Energiequelle versorgen zu wollen. Kurz bevor Metzger mit Sandinokaffeepäckchen gesteinigt werden sollte, stellte sich aber heraus, daß er gar nicht da war.

Herauszufinden, wie dann doch noch die Freitagsausgabe dieser Zeitung erscheinen konnte, ist nun Aufgabe einer Untersuchungskommission. Erste Ergebnisse werden im Frühjahr 1998 erwartet. Ich denke aber, daß ich schon jetzt keinen Praktikanten mehr ermuntern werde, im Keller Knöpfe zu drücken und Hebel umzulegen. Carola Rönneburg