: Vorlesen tut bestimmt Wolf Biermann
„Das ist im Prinzip Zukunft, was Sie da sehen“: Herr Dussmann hat ein Kulturkaufhaus in der Friedrichstraße gebaut, wo man jederzeit Grenzen überschreiten kann „und umgekehrt“. Was soll man dagegen haben? ■ Von Detlef Kuhlbrodt
„KulturGut. Alles gut.“ Die Friedrichstraße ist auch gut im abenddämmrigen Herbstnebel. Bei Leysieffer im Fenster haben sich knuffig aussehende Weihnachtsmänner in unterschiedlichen Größen versammelt. Die rundbäuchigen Weihnachtsbäume im nächsten Fenster wirken anschmiegsam. „Ich habe Clementinen geholt. Willst du auch eine?“ Dann kommt Dussmann. Dussmann hat 37.000 Mitarbeiter in Europa und einen Jahresumsatz von 1,7 Milliarden Mark. Dussmann hat 220 Millionen gekostet. Herder hatte aufgegeben, wer Fnac war, weiß schon keiner mehr. Hat Kiepert noch eine Chance?
Dussmann also, der Kulturterminator, der „Klassik Discounter“: „Zwischen Dorotheenblock und Linden-Boulevard, also mitten im Hexenkessel von Bauen und Boomen, steht Peter Dussmann“, schreibt Dussmann über Dussmann in einem roten Buch und bemüht sich darum, „die kulturelle Realität zum Maßstab eines umfassenden Medienangebots zu machen“.
„Grenzüberschreitungen jederzeit und überall sind nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht“, sagt Dussmann. „Gleiches gilt umgekehrt. [...] Vom Text zum Ton zum Bild zur Interaktion. Und zurück. Und über Kreuz. Ganz nach Motivation, Initiation, Animation.“ Hoch lebe der Geschlechtsverkehr! „Mittenmang“ heißt das „Erlebnismagazin“ von Dussmann. Und meine Eckkneipe heißt „Mittendrin“.
Das „KuK“ ist: „Kulturtreff, Kommunikationszone, Kulturhaus, Erlebnishaus, Erfahrungshaus, Verweilhaus, Begegnungshaus.“ Im Fenster steht ein Multimediapaket: „Essen und Trinken mit Heinrich Heine“. Enthält: eine Vorlese-CD „Genialer Künstlerschweiß“ und 2 Flaschen Riesling- Wein. Vorlesen tut bestimmt Wolf Biermann. Das Video „Foul- Spiel“ enthält die „spektakulärsten Foulszenen, die übelsten Schwalben, die härtesten Begegnungen, die professionellsten Fouls [...]. Die besten Spieler der Welt [...], mal als Täter, mal als Opfer, denn Fußball ist ein gnadenloses Spiel!“ Kostet nur 6,90; ist zwar nicht ganz so gut, wie ich erst dachte, aber trotzdem recht kurzweilig... – „Eine Tüte, oder geht das so?“
„Dussmann sieht aus wie ein Puff“, meinte eine Buchhändlerfreundin. Ein „Kulturpuff“ sozusagen mit „Kulturdumping“ – Dussmann zahle keinen Tariflohn und beschäftige viele unausgebildete Kräfte und habe neulich von der amerikanischen Dienstleistungsgesellschaft geschwärmt und dabei den Kulturguthandel mit Konservenfabriken verglichen. Diesem feinen Herrn Dussmann geht es doch nur ums Geld!
Eine luftige Architektur eignet dem Kulturhaus. Die kreisförmigen Verkaufstheken sind so luftig, daß die VerkäuferInnen keinerlei Rückzugsmöglichkeit haben. Wenn man reingeht, schaut man auf ein magritteverkitschtes Bild an einer Wand. Das soll ein Wasserfall sein, sagt die Frau am Kultur-Discounter-Empfang. „Vision 1998“ steht drüber. „Das ist im Prinzip Zunkuft, was Sie da sehen.“
Auf der Galerie grüßt ein feist lächelnder Papp-Pavarotti mit ausgebreiteten Armen und einem weißen Taschentuch wedelnd („genialer Künstlerschweiß“) die Massen. Irgendwo piept es.
Die Popmusikabteilung liegt irgendwo zwischen WOM und Karstadt. Würde man wie immer am liebsten 1.000 Mark ausgeben. An einer Maschine, die aussieht wie eine größere Videospieleinrichtung, kann man „die Charts und die TV-Werbung hören“. Dazu muß man „den Strichcode unter die Scanner an den Bedienungselementen“ halten. Kinderleicht. Funktioniert leider nicht so ganz, nicht einmal bei Elton John. Gerät hat Masern. Olaf hat Husten. Gute Besserung! „Aber die Idee ist im Prinzip gut“, sagt eine Frau, worauf sich ihr Begleiter empört abwendet: „Kann man vergessen.“
In einer Ecke gibt es „Weihnachten“. Marx steht in der „Ostalgie“-Abteilung neben den legendären Digedags-Comics. Die Klassikabteilung für Menschen mit Geschmack auf der Suche nach Klassik-Obskura ist nach der Vernichtung von Bote & Bock die größte der Stadt und wird auch von dem Ex-Haschrebellen Bommi Baumann sehr begrüßt. Hier werden komplizierte Fragen gestellt und beantwortet.
Hinter einem schwarzen Flügel ist ein hingemalter Sternenhimmel mit kleinen Lämpchen. Unter der Rolltreppe stehen zwei windschnittige Designersessel. Klassik ist was zum Ausspannen und Verträumt-in-die-Luft-Gucken. Auf der kompletten Beethoven-Edition für Emporkömmlinge (1.490,–) sitzt ein putziger Teddybär. Das ist „der kultivierte Bär von Dussmann's Kulturkaufhaus“.
An den Internetplätzen Gedränge. Micky sieht sehr sympathisch aus und „chattet“ hier anmutig schon seit zwei Stunden und will gar nicht mehr aufhören. Kaffee gibt es auch. Rauchen darf man natürlich nicht. Am Nebentisch sitzt ein Volkswirtschaftsstudent mit seinem Abschlußarbeitsbetreuer. Beide sehen gleich alt aus, sind ähnlich gekleidet und sagen unsympathische Sachen.
„Das Basismedium Buch bildet auch hier die Basis.“ Ich lach' mich tot. Am besten gefiel mir eine schöne CD mit Winnetou-Liedern von Pierre Brice („Winnetou, du warst ein Freund“), Lex Barker, Heinrich Lübke u.a. Es gibt auch eine Videokassette mit „Führerstandsmitfahrt mit dem Bus 100“ für 29,90 und Leute, die schon ganz ballaballa sind.
Trotzdem. Was soll man dagegen haben? Gegen Dussmann, Kultur, Geldausgeben und solche Dinge. Bücher kann man ja auch woanders kaufen. Der junge Mann an der Kasse, die grad nicht funktioniert, lächelt auch sehr nett. Am 24.12. gegen Mittag werd' ich da garantiert auch wieder sein, bei Peter Dussmann.
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