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Witwe Boltes kühnster Streich

Die einen mögen ihren robusten Charme, andere fürchten ihren barschen Ton. Jetzt wechselt Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD), Berlins Justizsenatorin, überraschend in die rot-grüne Regierung ihrer Heimatstadt Hamburg  ■ Von Constanze v. Bullion

Erst auf der Überholspur blüht sie auf. Ein Tritt ins Gaspedal, und der schwere Daimler zieht vorbei an den Langweilern auf der rechten Seite. Die resolute Dame hinterm Steuer rauscht durch Wälder von Verkehrsschildern, vorbei an lästigen Baustellen und den noch lästigeren Herren von der Verkehrspolizei, bei denen sie schon ein ansehnliches Sündenregister hat. Wie oft sie geblitzt wurde auf der Autobahn von Berlin nach Hamburg, kann sie nur schätzen. „Reinsetzen, losfahren und ankommen – wann ich will und ohne jemanden zu fragen“, das ist das Credo der ehemaligen Rallyefahrerin, die vor wenigen Tagen angekündigt hat, ihren Sessel an der Spitze des Berliner Justizsenats aufzugeben. Lore Maria Peschel- Gutzeit (SPD) wechselt als Justizsenatorin der rot-grünen Koalition nach Hamburg.

Der blitzschnelle Abgang hat selbst enge Mitarbeiter übertölpelt. „Schweren Herzens“ läßt SPD-Fraktionschef Klaus Böger die streitbare Rechtspolitikerin ziehen, Frauensenatorin Christine Bergmann (SPD) trauert um eine Mitstreiterin mit „großem politischen Standing“. Eine „treulose Tomate“ hat Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) die gebürtige Hamburgerin genannt. Norbert Schellberg schließlich, rechtspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, spricht von „Fahnenflucht“.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl und mitten im erbitterten Tauziehen um den Sparhaushalt der Hauptstadt schmeißt eine Justizsenatorin das Handtuch, die mit ihren unkonventionellen Vorschlägen regelmäßig auf den ersten Seiten der Tageszeitungen landete. Und das nicht nur in der Berliner Provinz. Ob Wahlrecht für Kinder, elektronische Fußfessel oder Entlastung überfüllter Haftanstalten: Lore Maria Peschel-Gutzeit hat auch den Bundesrat in Bonn mit ihren Vorlagen bombardiert. Stapel von Gesetzesinitiativen stammen aus ihrer Feder, kein anderes Bundesland kann da mithalten.

Für ihren nimmermüden Arbeitseinsatz wurde die Justizsenatorin stets gelobt, unumstritten war sie nie. Die einen mögen die robusten Scherzchen der selbstbewußten Frauenrechtlerin. Andere nörgeln über ihren einsamen Führungsstil, nicht selten habe sie Untergebene in barschem Ton zur Schnecke gemacht. Irgendwo zwischen Mutter Courage und Eiserner Lady siedeln die Berliner KollegInnen sie an, einen Ministerposten im nächsten Bundeskabinett hätten ihr einige zugetraut. Jetzt steuert sie ihre Karosse in nördliche Richtung. Nach Hamburg soll es gehen, zurück nach Hause also.

Ob sie Heimweh hat? Ein Wunder wäre es nicht. Wie ein Gewächs aus einer vornehmeren Welt wirkt die imposante Hanseatin in dem preußisch- kargen Amtszimmern des Berliner Senats. Frau Peschel-Gutzeit liebt groß Geblümtes, mag auffälligen Schmuck und geräumige Faltenröcke, unter denen sie auch im Winter nur Kniestrümpfe trägt. Eine respektable Matrone der Jahrhundertwende könnte die 65jährige abgeben, die von lackierten Nägeln so wenig hält wie von modischen Frisuren.

Das Outfit freilich täuscht. Hinter dieser Witwe-Bolte-Fassade regiert nicht nur ein unverwüstlicher Humor, sondern auch ein messerscharfer Verstand.

„Ich komme aus einer Familie, die von Amts wegen immer recht hat. Das halte ich eigentlich für charakterverbiegend“, antwortet Lore Maria Peschel-Gutzeit, wenn man sie nach ihrer Biographie fragt.

Die Mutter war Lehrerin, die Großmutter auch, ihr Vater diente als Offizier. Geerbt hat sie wenig Bares, dafür aber das selbstbewußte Aufteten einer Bürgerstochter, die schon mit zwölf so groß war wie heute. Daß sie Klassenbeste war in Latein und dazu noch singen konnte, hat ihr nicht überall Sympathien eingebracht. „Ein verträumtes Mädchen“ und „immer ein bißchen tüddelig“, so beschreibt sie sich selbst nicht ohne Wohlwollen. „Ach, laß man sein“, habe ihre Mutter gesagt, als sie zur Hitlerjugend sollte. Statt zu marschieren, durfte die kleine Lore „immerzu lesen und meine Blumen züchten“.

Von der wütenden Abrechnung mit der Generation der Eltern, die viele Sozialdemokratinnen der Nachkriegszeit geprägt hat, hört man wenig in Peschel-Gutzeits Erinnerungen. Lange bevor die APO durch die Hörsäle tobte, hatte die leidenschaftliche Juristin den Marsch durch die Institutionen angetreten. Erstes Staatsexamen nach sechs Semestern, Referendariat mit 22, vier Jahre später verheiratet – ein Leben wie im Bilderbuch? Nicht ganz. Wenige Wochen nach der Hochzeit starb ihr gleichaltriger Mann an Krebs. „Ich war also eine 26jährige Witwe“, kommentiert sie knapp, „habe das zweite Examen gemacht und bin nach Freiburg gegangen. In Hamburg habe ich es nicht mehr ausgehalten. Da gab es zu viele Erinnerungen.“

Gefühle an die große Glocke zu hängen, das ist nicht Sache eines kühlen Nordlichts. Lore Maria Peschel-Gutzeit ist eine, die nüchtern analysiert. Je kniffliger die Rätsel sind, desto besser. Erstens, zweitens, drittens, so beginnen viele Fragen, die sie ihrem Gegenüber stellt. und die sie am liebsten gleich selbst zu beantwortet. Wer sein Anliegen nicht schlüssig formuliert, der wird schon mal zur Ordnung gerufen. „Also hören Sie mal“, sagt sie dann und schickt einen strafenden Blick über den Rand ihrer Brille.

Daß sie ein emotionaler Mensch ist und ihr Temperament nur mühsam bändigt, merkt erst, wer Kritik anmeldet. Wütend war sie etwa, als neulich ein Journalist zum Interview erscheinen wollte. Er hatte sich über Peschel-Gutzeits Vorschlag lustiggemacht hatte, schon Babys das Wahlrecht zu erteilen. „Ich finde es juristisch unsauber, daß man 16 Millionen Kinder von der Wahl ausschließt“, rechtfertigt sie ihre originelle Idee, Eltern das Wahlrecht für unmündige Kinder zu übertragen. „Seit Jahrzehnten setze ich mich für die Rechte von Kindern ein. Dieser Journalist hat das durch unseröse Arbeit lächerlich gemacht. Für mich ist das kein anständiger Umgang.“

Nein, die Senatorin verzeiht nicht so schnell. Unvergessen ist etwa die Affäre vom April dieses Jahres. Im Streit um den Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld warf man ihr vor, sie habe einem Kompagnon aus dem Ingenieurbüro ihres Sohnes Aufträge zugeschustert. Selbst die Berliner Bündnisgrünen, eifrige Befürworter einer genauen Untersuchung, glauben inzwischen nicht mehr, daß Peschel-Gutzeit gemauschelt hat. Das bestätigt auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses Norbert Schellberg. Daß trotzdem immer etwas hängenbleibt, „das hat mich verletzt“, sagt die Senatorin. „Ich bin kämpferisch und ecke an. Aber solche Methoden liegen weit außerhalb meines Lebensmusters.“

Das Lebensmuster der Lore Maria Peschel-Gutzeit heißt Arbeit, Arbeit und nochmal Arbeit. 1959 trat sie in Freiburg der ersten Frauenkanzlei der Bundesrepublik bei. „Das war phantastisch“, sagt sie noch heute. In den seltenen Atempausen brauste sie mit einem Fiat Topolino nebst Schiebedach und Hut durch die Landschaft. Rallyes zu fahren, das entsprach für die Motorsportlerin vom „Deutschen Damen-Automobil- Club“ dem „Bedürfnis nach Freiheit und Selbständigkeit, gerade der Frau“. Nur zögerlich folgte sie 1960 dem Ruf ans Landgericht in Hamburg, „aber die haben mich schließlich beschnackt“. In Zehn- Minuten-Takt hat sie als Zivilrichterin Ehen geschieden, bis ihre eigene in die Brüche ging. Daß sie damals längst wieder verheiratet war, vergißt sie des öfteren zu erwähnen. Überhaupt wirken Männer in ihren Geschichten seltsam blaß.

Der Gleichberechtigung der Frau, dem § 218, den Gesetzesvorlagen für Teilzeitarbeit und Erziehungsurlaub hat Peschel-Gutzeit ungezählte Sonntage im Büro gewidmet. „Ich bin immer ein sehr autonomer Mensch gewesen“, sagt sie, „da wartet man nicht darauf, daß ein Mann irgendetwas mitmacht.“ 1972 stieg sie ans Oberlandesgericht Hamburg auf. 1990 schloß sie ihre Doktorarbeit ab, wurde 1991 Justizsenatorin der Hansestadt. Daß sie die Zeche für ihre Karriere nicht allein bezahlt hat, weiß Peschel-Gutzeit. Eine Kinderfrau zog ihre drei Kinder groß. „Die haben mir die vielen Überstunden mit Sicherheit verübelt“, sagt sie heute, „ich hätte denen erklären müssen, daß wir ohne meine viele Arbeit nicht über die Runden kommen.“

Fragt man sie, warum sie für die Frauen streitet, dann verweist die Senatorin auf ihr soziales Verantworungsgefühl. Fragt man sie, ob sie Feministin sei, dann schüttelt sie empört den Kopf. „Ich bin viel länger an frauenspezifischen Themen dran, als es die sogenannte feministische Bewegung gibt“, verkündet sie. Peschel-Gutzeit grenzt sich ab von der Rhetorik einer Alice Schwarzer, „auch wenn ich mit ihr viel gemacht habe“. Sie kämpft für die rechtliche Gleichstellung nicht-ehelicher Gemeinschaften, aber die Homo-Ehe, so glaubt sie, „die wird nie kommen“.

Ob die Hamburger Grünen das gern hören werden? Die haben sich die amtliche Registrierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen in den Koalitionsverhandlungen einiges kosten lassen. Den Verzicht auf eine liberalere Abschiebepraxis im Asylbereich etwa. Parolen wie „null Toleranz“ oder „sofortige Abschiebung straffälliger Ausländer“, mit denen Hamburgs Ex-Bürgermeister Voscherau erfolglos hausieren ging, hält die Justizsenatorin für „Populismus, den ich nicht mitmache“. Sicher, meint sie, „die SPD hat beim Thema innere Sicherheit viele ideologische Hemmschwellen. Da müssen wir umdenken und die Ängste der Bürger wirklich erst nehmen. Aber ich behaupte, daß ihre Unsicherheitsgefühle nicht begründet sind.“

Großmütter, die um ihre Handtasche fürchten, will sie begleitet wissen. Für Stadtviertel, wo die Luft brennt, fordert sie Präventionsräte. Auch in Sachen Drogen, heißt es bei den Grünen, könne man mit Peschel-Gutzeit durchaus reden. „Die ganze Arie der Ausländerkriminalität ist in dieser Pauschalität falsch“, meint sie und verweist auf den Zusammenhang von gesellschaftlicher Integration und Straffälligkeit. „Wofür ich überhaupt nicht bin“, faßt sie zusammen, „sind immer härtere Strafen und immer schärfere Gesetze. Das ist nicht sozialdemokratisch und kann nichts bringen.“

Lore Maria Peschel-Gutzeit hat gegen Gerhard Schröders Thesen opponiert. Als Parteilinke gilt sie deshalb nicht. Zwar will sie die überfüllten Haftanstalten entlasten und verurteilte Täter mit elektronischer Fußfessel nach Hause schicken. Statt hinter Gittern rumzuhängen, sollen Straftäter gemeinnützige Arbeit verrrichten. Das klingt gut, meint der bündnisgrüne Rechtspolitiker Norbert Schellberg. „Aber sämtlichen Freien Trägern, die in Berlin das Modell „Arbeit statt Strafe“ anbieten, hat die Senatorin die Mittel gestrichen. Statt dessen läßt sie im Ostteil der Stadt und in Brandenburg neue Knäste ausbauen. Da hat sie die CDU noch rechts überholt.“

Auf der Überholspur also, nur auf der falschen Seite? Lore Maria Peschel-Gutzeit hat längst nicht alles durchsetzen können, wofür sie wortgewaltig eintrat. Von einer Kapitulation will die scheidende Senatorin freilich nichts hören. Ihr Schritt sei ihr schwer gefallen, versicherte sie ihren düpierten Mitstreitern. „Aber wenn ich zu einem Politikwechsel in unserem Land etwas beitragen kann, will ich das gerne tun“. Ein Stühlchen in Bonn? Sie winkt ab. „Bekanntlich bin ich ja schon 150 Jahre.“ Das gute alte Hamburg soll's sein, zu den Grünen, habe sie „immer einen sehr guten Draht gehabt“. Und das mit dem Rasen auf der Autobahn? Sie zuckt mit den Schultern und linst kokett über den Brillenrand. „Man muß sich ja nicht in allen Punkten einig sein.“

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