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„Sagt mal, mögt ihr keine Jungs“?

■ An der Bergedorfer Gesamtschule werden seit fünf Jahren die Fächer Sport und Biologie nach Geschlechtern getrennt unterrichtet Von Markus Götte

Die Frage der „NDR-Fernseh-Tussi“ – „Mögt ihr keine Jungs?“ – fanden die Neuntkläßlerinnen Nina, Inke, Sabrina und Alina bescheuert. Das Interesse der Journaille an ihnen und der teilweisen Aufhebung der Koedukation an der Gesamtschule Bergedorf sei nett, nerve aber auch. Kaum haben sich die vier in Mädchen-Bio- und Sportkurse eingewählt, fühlen sie sich von allen „irgendwie abgestempelt“.

Nina (15): „Die Jungen haben erstmal gestutzt und fanden es doof, daß etwas ohne sie läuft“. Doch nicht nur im maskulinen Schülerhirn schrillen die Alarmglocken. Auch im Bergedorfer LehrerInnenzimmer köcheln die Emotionen der Herren Studienräte beim Thema Mädchenkurse noch ab und an hoch. Und das, obwohl die Schule schon seit fünf Jahren in Hamburg darin Vorreiterrin ist. Schülerinnen der Klassen 7 bis 9 können sich hier für rein „weiblichen“ Biologie- und Sportunterricht entscheiden.

Männliche Kollegen meinen: Soziales Verhalten könne nur zusammen erlernt werden. „Falsch“, sagen die Bergedorfer Lehrerinnen Ingrid Döring und Regina Malz-Teske. Lehrer hätten einfach Angst, Mädchen als Ruhefaktor, als Kompensatorinnen für gruppendynamische Probleme und „sozialen Schmierstoff“ im Klassenzimmer zu verlieren. Diese typische Rollenzuschreibung soll aber gerade aufgeknackt werden, erklärt Ingrid Döring.

Besonders in den von Jungmännern dominierten naturwissenschaftlichen Fächern und beim Sport wollen beide Freiräume für Mädchen schaffen, um deren Selbstbewußtsein zu stärken und über zeitweise getrennten Unterricht der Chancengleichheit näher kommen. Malz-Teske: „Uns geht es darum, daß Mädchen ihre Erfahrung mit Mädchenkursen machen, daß sie erkennen, was sie selber können und sich dann von Jungs nicht mehr in den Hintergrund drängen lassen“. Sabrina bestätigt: „Allein geht es einfach besser. Ohne Jungs, da können wir mehr und die Atmosphäre ist lockerer“. Und heikle Themen wie sexueller Mißbrauch, Magersucht oder Bulimie könnten sie sowieso nur unter sich diskutieren.

Die Vorstellung, in Zukunft noch in weiteren Fächern t ohne Jungs unterrichtet zu werden, behagt den Vieren nicht. Sabrina: „Es ist gut, daß das jetzt so ist, aber später auch noch ..., ne, das muß nicht sein.“ Und Inke gibt sich pragmatisch: „Wenn deren Durchgeknalltsein nach der Pubertät ein Ende hat, dann funktioniert das auch besser zusammen im Unterricht.“ Sport bleibt für sie jedoch ausgenommen. Da ist es für Inke schon wichtig, „ohne Typen zu sein“.

Für Nina sind die Vorteile der Geschlechtertrennung schon beim Skiausflug zuende: „Das wäre doch total langweilig ohne Jungs“. Sabrina und Alina nicken zustimmend. „Überhaupt“, erklären die Schülerinnen selbstbewußt, sei das Projekt mit der Geschlechtertrennung „zu hochgepusht“. „Kaum sagen wir etwas Positives drüber, schon stürzen sich unsere Lehrerinnen darauf und planen gleich sonst irgendwas für uns“. Mit den regelmäßig stattfindenden Mädchentagen an der Schule können sie nichts mehr anfangen. Früher, als sie noch in der Unterstufe waren, sind sie hingegangen, „aber jetzt? Das ist das doch Pipifax“, grinst Inke und benennt damit ein wirkliches Problem von Ingrid Döring und Regina Malz-Teske. Sie wissen nicht, wie sie ältere Mädchen ansprechen sollen.

Im Moment hat für die Lehrerinnen jedoch das heiß diskutierte neue Hamburger Schulgesetz oberste Priorität. Dort soll, wenn es nach ihnen und dem SPD-Frauenausschuß Eimsbüttel ginge, obligatorisch festgeschrieben werden, daß in naturwissenschaftlichen Fächern und im Sport in der 7., 8. und 9. Klasse Männlein und Weiblein getrennt werden. Auf männlichen SPD- Druck wurde der Eimsbüttler Antrag jedoch entschärft. In den nun diskutierten Papieren soll nur die Möglichkeit der Geschlechtertrennung bestehen. Und die soll jeweils schulintern beschlossen werden. Was dann Schulkonferenzen und letztendlich meist männliche Schulleiter entscheiden würden, sei fraglich, meint Regina Malz-Teske.

Ein weißer Fleck der Koedukationsdebatte: das männliche Geschlecht. Was passiert eigentlich mit Jungs? „Männer, kommt in die Hufe“, heißt es in einem Lehrerinnenflugblatt in Bergedorf. Um die Jungenarbeit wollen sich die Frauen nicht auch noch kümmern. Bei den Angesprochenen herrscht jedoch Funkstille. „Unglaublich peinlich“ ist das Wolfgang Nöhden, Lehrer an der Bergedorfer Gesamtschule. „Das trifft einen wunden Punkt bei uns.“ Vier von 60 männlichen Kollegen hätten schon mal laut an Jungenarbeit gedacht, erzählt Nöhden. Einen einmaligen Meditationskurs für Jungs kann er sich auf die Fahne schreiben. Aber sonst ... Wünschenswert sei die Jungenarbeit. „Doch es macht keiner“, sagt Nöhden, „auch nicht an anderen Schulen.“

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