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„Sie kann Fußball spielen“

Gesichter der Großstadt: „Landesligist sucht Trainer(in)“ stand in der Zeitung. Warum nicht? fragte sich Mirjana Kovacev und trainiert seitdem eine Männermannschaft. Mit Erfolg  ■ Von Jens Rübsam

Aus der Boulevardzeitung schreit's: „Mirjana macht gleich 30 Kerlen Beine.“ Uli Hoeneß frotzelt via Morgenmagazin: „Wo geht sie bloß duschen?“ Und alte Herren geifern am Spielfeldrand: „Gute Frau, mit Ihrem Gebrüll machen Sie unsere Spieler verrückt.“

Was soll man nur dazu sagen? „Eigentlich gar nichts.“ Mirjana Kovacev setzt ein gelangweiltes Lächeln auf, streicht mit der rechten Hand über den Tisch, legt die Stirn für einen Moment in Falten. Den alten Herren aus Neukölln hat sie vorhin gezeigt, was sie von derlei Geschwätz hält. Ein stechender und strafender Blick – das genügte. Fortan war Ruhe am Spielfeldrand – und sie, die Trainerin des Landesligisten FC Internationale, konnte sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren: ihre Jungs durch das Punktspiel gegen den 1. FC Neukölln zu dirigieren – in bestimmter, aber keineswegs in brüllender Weise.

Und wenn? Ja, wenn sie gebrüllt hätte? Es gibt genug männliche Kollegen, die mit Worten umgehen, als wären es Granaten. Aber was bei den Herren Trainern geduldet wird, scheint bei einer Frau Protestwert zu haben. Na schön, Mirjana Kovacev ist in eine Männerdomäne eingebrochen. Es ist das erste Mal, daß in Berlin eine Frau eine Männermannschaft in der Landesliga betreut. Muß sie sich deswegen andere Maßstäbe gefallen lassen?

Mirjana Kovacev, 45, sitzt im Schöneberger Sportkasino, dem Vereinslokal des FC Internationale, und will eigentlich nicht über „Frauen in einer Männerdomäne“ reden, sondern über Fußball. Sie baut mit einer Zigarattenschachtel und einem Blatt Papier Spielszenen nach. Die Schachtel ist das Tor, das Blatt Papier bildet die Strafraumbegrenzung, ihre Finger tänzeln zwischen Schachtel und Papier hin und her – sie erklärt, wo ihre Jungs in den entscheidenden Situationen standen und wo sie hätten stehen sollen. „Das war kein Fußball“, sagt sie harsch und greift zum Glas, nimmt einen Schluck Bier und fügt schnell, die Frage ahnend, hinzu: „Ich habe nichts gegen Bier. Irgendwie gehört das doch zum Fußball dazu.“

Ehrlich gesagt, so richtig hatte beim FC Internationale niemand daran geglaubt, daß sich eine Frau um den Trainerjob bewerben würde. Mehr aus Spaß und wohl mehr deswegen, weil man zeigen wollte, daß Inter noch immer ein besonderer Verein ist, hatten zwei Spieler die Trainersuchanzeige folgendermaßen formuliert: „Landesligist sucht Trainer(in)“. Erst als es schwarz auf weiß in der Zeitung stand, „haben wir uns selber gefragt, wie wir das eigentlich finden würden“, sagt Spieler Björn von Pickardt. Schnell waren sich die Männer einig: Na ja, man würde keine Frau nehmen, nur weil sie eine Frau ist, sondern qualifiziert müßte sie schon sein.

Na ja, hat sich auch Mirjana Kovacev gedacht, als sie die Anzeige gelesen hatte, es wird sich bestimmt keine Frau trauen zu antworten, „aber ich mach's trotzdem“. An sportlicher Erfahrung mangelte es ihr nicht. Erfolgreich als Leichtathletin, Hand- und Fußballerin, Trainerin der Damenmannschaft von Tennis Borussia Berlin. Die Prüfung für die Trainer-B-Lizenz hatte sie in der Tasche. Ihr Prüfer, der Verbandstrainer Friedhelm Häbermann, erinnert sich noch gut an seine Schülerin. Engagiert und wißbegierig sei Mira gewesen, fachlich habe sie manch einem männlichen Kollegen etwas voraus – und, vor allem, „sie kann Fußball spielen“.

Seit Saisonbeginn nun ist Mirjana Kovacev Trainerin des FC Internationale. Für die Spieler ist sie ganz einfach Mira, weil es Siezen beim FC Internationale nicht gibt. Die Spieler sind ihre „Jungs“ oder ihre „Männer“. Sie ist Vater, Mutter, Schwester, Freundin, Beichtvater und Psychologin in einem. Vater, weil sie ihre „Jungs“ oder ihre „Männer“ nicht schont und jetzt angekündigt hat, daß sie das Trainingspensum in der Rückrunde erhöhen will. Das wird nicht ganz einfach durchzusetzen sein. Sind doch die Inter-Spieler keine Profis, sondern Amateure, die Fußball spielen ohne Geld dafür zu bekommen – wo gibt es das heute noch in der Landesliga! Mutter ist Mira, weil sie nicht vergißt, daß auch Verständnis und Gefühle zum Fußball gehören. Wie sonst sollte sie einem ihrer Spieler, Darko Vojnovic, den Druck nehmen, unter den er sich selber setzt. Darko ist von einem höherklassigen Verein zu Inter gekommen, fühlt sich nun für alles verantwortlich, denkt, er müsse mehr machen als andere. Da braucht es eine feine Hand, um den Heißsporn in die Mannschaft zu integrieren.

Schwester ist sie, weil sie Vereinsangelegenheiten mit ihrem Auto erledigt, weil die meisten ihrer Jungs Studenten sind und nur ein Fahrrad haben. Sie ist Freundin, weil sie nach dem Spiel noch ein Bier mittrinkt. Meist dauert es länger als ein Fußballspiel. Sie ist Beichtvater – aber alles wird auch nicht verraten. Und schließlich, nicht zu vergessen, ist sie Psychologin, weil sie keine Stammelf installieren will, ja auch nicht kann. Inter ist eben ein besonderer Verein, der seinen Studenten-Spielern auch während der Saison nicht die Teilnahme an Exkursionen verbietet und sie nicht an Praktika hindert, was es anderenplatzes sicher nicht geben würde, weil es ja immer um Sieg geht. Freilich, auch bei Inter geht es um Sieg, aber um atmosphärischen Sieg. Freilich, auch Mirjana Kovacev würde gerne mal zwei Spieltage hintereinander die gleiche Mannschaft zur Verfügung haben. Aber na gut. Sie wußte ja um die Besonderheiten des FC Internationale. Der Anspruch der Gründer 1980 war: Nicht nur Fußball spielen und Bier saufen, sondern auch politisch aktiv werden.

Mit der Verpflichtung von Mirjana Kovacev hat der FC Internationale wieder einmal, wenn auch unfreiwillig, einen Exotenstatus erlangt. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß das bei uns möglich wäre. Die Spieler haben doch nicht mal vor ihrem Trainer genügend Achtung“, sagt eine Neuköllnerin am Spielfeldrand, im Rücken die alten Herren, die sich anfangs so empört hatten über Mirjana Kovacev. Friedhelm Häbermann, der Verbandstrainer, drückt sich diplomatischer aus: „Bei anderen Vereinen gibt es sicherlich mehr Ängste und Hemmungen gegenüber Frauen als Trainer.“

Mirjana ballt die Hand zur Faust, euphorisch entflieht ihr der Satz: „Eventuell bahne ich ja den Weg für andere mutige Frauen.“

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