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Acht Kids sieben Stunden täglich für 1.700 Mark

Senat droht Honorarkürzung an: Tagesmütter sollen trotz schlechter Bezahlung bald nur noch nach der tatsächlichen Betreuungszeit bezahlt werden. Für Betreuerinnen sinkt nur die Bezahlung, die Arbeitsbelastung aber bleibt gleich. Sie fürchten um ihre Existenz  ■ Von Julia Naumann

Leistung zeigt Ute Dittmann jeden Tag. Früh um acht klingelt es das erste Mal an der Haustür ihrer 84 Quadratmeter großen Wohnung in Schöneberg. Schon bald hängen acht Jäckchen neben ihrer eigenen Jacke an der Garderobe, nach dem Mittagessen werden in ihrem Badezimmer acht kleine Zahnbürsten benutzt, und erst am Nachmittag gegen 15 Uhr hat Ute Dittmann ihre Wohnung wieder für sich allein. Doch dann ist ihr Arbeitstag noch lange nicht zu Ende: Die 36jährige muß noch für acht hungrige Mäuler einkaufen, das Spielzimmer aufräumen und auch mal einen Saftfleck vom Teppich putzen. Ute Dittmann ist Tagesmutter und nach eigenen Angaben 50 bis 60 Stunden wöchentlich im Einsatz.

Nach Aufassung des Senats leisten die rund 2.500 Tagesmütter aber anscheinend nicht genug. Die Jugendverwaltung plant nämlich, Tagesmütter zukünftig „leistungsgerechter“ zu bezahlen: nicht mehr pauschal pro Kind, sondern kompliziert aufgeschlüsselt nach sogenannten Vollzeit-, Teilzeit-, oder Halbtagsplatz-Kindern.

Bislang erhält eine Tagesmutter pro Kind ein Erziehungsgeld von 376 Mark pro Monat, wenn es mindestens fünf Stunden am Tag betreut wird. Zusätzlich gibt es ein Pflegegeld von 360 Mark – enthalten ist ein kleiner Mietzuschuß von rund 50 Mark, ein Ausgleich für abgenutze Teppiche und Möbel, die Nahrung und das Spielzeug für die Kinder. Wenn eine Tagesmutter mehr als drei Kinder betreut, bekommt sie als sogenannte „Tagesgroßpflegestelle“ pro Kind ein Erziehungsgeld von 628 Mark und auch mehr Pflegegeld. Davon muß aber auch weiteres Personal und die Miete für mögliche extra angemietete Räume bezahlt werden.

Zum Jahreswechsel sollen die Tagesmütter – nur zwei Prozent von ihnen sind übrigens Männer – nun für den vollen Satz des Pflege- und Erziehungsgeldes ein Kind mindestens sieben Stunden statt fünf betreuen. Sind es nur fünf Stunden, werden 40 Prozent des Geldes, bei bis zu sieben Stunden 20 Prozent abgezogen. Die Senatsverwaltung möchte zukünftig nur die tatsächliche Betreuungszeit bezahlen. Bereits geschlossene Verträge sollen jedoch weiterhin nach dem alten Modell bezahlt werden.

Doch Betreuungszeit ist nicht gleich Arbeitszeit. Ute Dittmann findet die Rechnung des Senats deswegen ungerecht: „Wir arbeiten trotz der Aufschlüsselung ja dennoch den ganzen Tag.“ So bleibt ihre Arbeitszeit im Endeffekt gleich, auch wenn mittags schon einige Kinder von ihren Eltern abgeholt werden. „Ob ein oder zwei Kinder mehr oder weniger dasind, macht nicht viel aus“, weiß Dittmann, die mittags in ihrem eigenen Schlafzimmer die kleineren Kinder in den Schlaf singt. Sie muß mit ihrer Mitarbeiterin, die 20 Stunden wöchentlich kommt, präsent sein, bis das letzte Kind abgeholt wird.

Die befürchteten Lohneinbußen sind dagegen erheblich: Ute Dittmann, die vor Jahren in einer öffentlichen Kindertagesstätte gekündigt hat, weil sie intensiver mit Kindern in kleineren Gruppen arbeiten wollte, verdient auch jetzt schon nicht viel. Nach allen Abzügen bleiben der Schönebergerin, die sich als eigene Chefin selbständig kranken-und rentenversichern muß, derzeit durchschnittlich rund 1.700 Mark netto. Wenn ein Kind krank ist oder in den Sommermonaten die Fluktuation in der Großpflegestelle wegen der Ferien hoch ist, kann es auch schon mal weniger sein. Denn das Jugendamt zahlt nur, wenn ein Kind auch tatsächlich betreut wird. Ute Dittmann befürchtet, durch die neue Regelung monatlich rund 1.000 Mark weniger zu verdienen. Zu wenig zum Überleben. Es sei denn, sie kümmert sich zukünftig nur noch um „Vollzeit-Kinder“.

Eine ähnliche Rechnung hat auch Thomas Gärtner vom Verein „Tagesgroßpflegestellen in Berlin e.V. (TiB)“ aufgemacht. „Wir können uns zukünftig höchstens zwei bis drei Kinder leisten, die nur fünf Stunden am Tag betreut werden“, sagt der Erzieher. Doch der Bedarf an einer verringerten Betreuung sei nach wie vor hoch. Insbesondere weil Eltern, die sich im Erziehungsurlaub befänden, arbeitslos seien oder sich umschulen ließen, gar keinen Anspruch auf eine Vollbetreuung hätten. „Eltern, die ihr Kind nur halbtags betreuen lassen wollen, werden zukünftig Schwierigkeiten haben“, prophezeit Gärtner, der selbst in einer Kreuzberger Tagesgroßpflegestelle arbeitet.

Die Schöneberger Jugendstadträtin Ulrike Herpich-Behrens befürchtet, daß durch das „unkoordinierte Herumsäbeln“ des Senats bei der Kinderbetreuung die unterschiedlichen, gut funktionierenden Betreuungsmodelle zerstört werden könnten. Letzlich blieben nur die kommunalen Kitas für Halbtagskinder übrig, die im Vergleich teurer als Tagesmütter oder Freie Träger seien. Auch Ute Dittmann fühlt sich in ihrer Existenz bedroht. „Ich habe das Gefühl, daß unser Beruf ausgetrocknet werden soll“. Über die neue Regelung wird im Rahmen der Haushaltsverhandlungen in den nächsten Wochen entschieden.

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