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Weitere Zwangsexilanten möglich

■ Chinas Regierung dementiert Zusammenhang zwischen der Ausreise Weis und dem amerikanisch-chinesischen Gipfeltreffen

Berlin (taz) – Die chinesische Regierung hat gestern die Ausreise weiterer inhaftierter Regimegegner nicht ausgeschlossen. Vor der Presse in Peking sagte Außenamtssprecher Shen Guofang, es werde auch künftig Haftverschonungen aus medizinischen Gründen geben. Befragt nach einer Ausreisemöglichkeit für den inhaftierten Studentenführer Wang Dan, sagte Shen, die Behörden würden den Fall „entsprechend den Gesetzen“ behandeln.

Der 28jährige Führer der Studentenbewegung von 1989 wurde letztes Jahr wegen Subversion zu elf Jahren Haft verurteilt. Zuvor hatte Wang bereits vier Jahre im Gefängnis verbracht. Die Hongkonger Zeitung South China Morning Post zitierte seine Mutter mit den Worten, sie habe noch keinen Hinweis über eine Freilassung erhalten. „Ich hoffe, die Freilassung von Wei Jingsheng ist ein Anfang und nicht das Ende der Freilassung von politischen Gefangenen“, sagte sie. „Ich bin aber nicht sehr zuversichtlich, daß dies der Fall sein wird.“

Außenamtssprecher Shen dementierte gestern einen Zusammenhang zwischen der Ausreise Weis und dem Treffen zwischen US-Präsident Clinton und Chinas Staatschef Jiang Zemin im Oktober. Westliche Medien hatten vermutet, daß ein Entgegenkommen Chinas in der Menschenrechtsfrage Bedingung für den hohen Empfang Jiangs in Washington gewesen sei. Am Vortag hatte die Washington Post einen US-Regierungsmitarbeiter mit Äußerungen über Absprachen zitiert. Weis Freilassung stehe „in keinem direkten Zusammenhang“ mit dem Gipfeltreffen, so Shen. Chinas Justiz habe sich unabhängig und aus medizinischen Gründen für die Haftverschonung entschieden. Laut Shen mache sich die Regierung keine Sorgen über Weis Kritik im Ausland.

Der 47jährige „Vater der Demokratiebewegung“ war nach der Ausreise in die USA am Montag in einem Krankenhaus in Detroit untersucht worden. Nach Auskunft der Ärzte leidet Wei, der die letzten 18 Jahre fast ausschließlich im Gefängnis verbrachte, unter Herzproblemen und Arthritis. Wei kündigte an, sich einige Tage ausruhen zu wollen.

Chinas Medien haben mit Ausnahme einer zweizeiligen englischen Meldung der Nachrichtenagentur Xinhua nicht über die Ausreise des bekanntesten Dissidenten berichtet. In der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong dominierte Weis Freilassung dagegen die Titelseiten. Von Reportern zu einer Stellungnahme gedrängt, sagte Hongkongs Regierungschef Tung Che- hwa, die Freilassung beruhe auf „humanitären Gründen“. Er wünsche Wei eine schnelle Genesung.

Eine Hongkonger Menschenrechtsorganisation meldete gestern, am Tag der Freilassung Weis sei der Dissident Lin Xinshu neun Stunden wegen zweier Briefe an Jiang Zemin verhört worden, in denen er Weis Freilassung gefordert hatte. Dies zeige nach Ansicht der Organisation, daß die Freilassung Weis keine Verbesserung der Menschenrechtslage bedeute. Sven Hansen

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