: Ein Trainer wähnt sich demontiert
Weder eigene Erfahrungen noch das Beispiel Röbers können bei Arminen-Trainer Middendorp nach dem 1:3 gegen Hertha BSC Berlin für Gelassenheit sorgen ■ Aus Bielefeld Jörg Winterfeldt
Die instabile Seelenlage des unterlegenen Fußballehrers brauchte nur eine winzige Frage, damit Ernst Middendorps eigene Prophezeiung mit ihrer Selbsterfüllung beginnen konnte: Ob er sich angesichts der 1:3-Niederlage gegen Hertha BSC Vorwürfe mache, etwa mangelhaft motiviert oder instruiert zu haben, wollte ein Radiomann wissen. Äußerlich gewann der Trainer an Sicherheit durch sein kurzes „Nein“. Innerlich verlor er dabei die Contenance. Als er anschließend die Pressekonferenz verließ, nahm er beiläufig den Kollegen Jürgen Röber in den Arm, um mit lauter Stimme weniger ihm als öffentlich sein Leid zu klagen: „Was wir hier in Bielefeld haben, gibt's bei euch in Berlin nicht.“
Die Erklärung ließ er über den Bundesliga-Haussender folgen, wo er sich über „persönliche Ressentiments“ von Journalisten echauffierte, „die glauben, jetzt demontieren zu müssen, die eigentlich auf den Zeitpunkt gewartet haben: Ich könnte namentlich zwanzig, dreißig hier sagen, mit Adresse und Telefonnummer.“
Dabei war die inkriminierte Frage lediglich dieselbe gewesen, die im Bemühen um die Ursachenforschung seinen Kickern auch gestellt wurde. Insbesondere seit Middendorp selbst in der vergangenen Saison nachwies, daß sich ein Festhalten am Trainer auch in Perioden der Erfolglosigkeit auszahlen kann, war er dieser Tage trotz Abrutschens in den Tabellenkeller weder in Bielefeld noch anderswo in Frage gestellt worden.
Dennoch scheint der Bielefelder Coach dieser Tage tiefer verunsichert zu sein als in der Krise der Vorsaison. Und das, obwohl sein Kader zum Ligastart noch unversehens attraktiven Kombinationsfußball geboten hatte, an dessen Wiederentdeckung es lediglich zu arbeiten gilt: Viel hat er nun schon versucht, mal kein Trainingslager, dann doch eins, mal Harmonie im Training, dann Aggressivität. Nur hat noch keine Maßnahme gegriffen. Bislang.
Mit Jürgen Röber weilte ein Kollege in Bielefeld, der seinerseits grade die Tauglichkeit von Kontinuität demonstriert, obwohl er noch dazu „im größten Karnevalsverein des deutschen Kickertums“ (Berliner Morgenpost) angestellt ist.
Wie in einem Paternoster ist Röber nun mit seiner ufa-Werkstruppe an Middendorps Alm-Buben vorbeigesaust: An den letzten vier vergangenen Spieltagen, an denen Bielefeld verlor, siegte Hertha in Serie, erstmals nach 23 Jahren in der Bundesliga, so daß der Berliner Trainer seinen Balltretern verkünden konnte: „Jungs, wir sind wieder im Geschäft.“ Röber, dessen Verbleib nun bei den TV- Erstrechtverwertern als „Nicht- Entlassung des Jahres“ gefeiert wird, mahnt deswegen, daß man „in Bielefeld doch was aufgebaut hat und nun nicht alles gleich in Frage stellen muß“.
Auch Middendorps Kapitän Stefan Kuntz, am Mittwoch einziger verläßlicher und torgefährlicher Armine, drängt auf eine tiefgründigere Fehleranalyse, „schließlich hat doch der Trainer nicht das letzte Ding am Tor vorbeigeschossen, sondern ich“.
Noch nicht alle Kollegen, die einst als Mannschaft glänzten, ließen offen wissen, warum es derzeit mit der Leistung hapere, moniert Kuntz. „Im Moment“, schimpft der Nationalstürmer, „hat jeder mit sich selbst so viel zu tun, daß er dem anderen nicht mehr zur Hand gehen kann“. Inklusive des sensibilisierten Trainers, der unter dem dauerhaften Druck des Geschäfts Fußball-Bundesliga leidet. „Es geht um unseren Arbeitsplatz“, stöhnt Kuntz über die Kickerpartner. Weil die Gepflogenheiten der Branche aber grundsätzlich eine Gefährdung der Trainerstelle vorangehen lassen, steht Midendorp unter stetem Streß, obwohl sein Klub ihm Solidität gewährleistet. Da hilft es wenig, wenn der Trainer jetzt „verbittert“ ist, statt als gewiefter Psychologe ein Klima zu kreieren, in dem seine Schützlinge offen mit den leistungshinderlichen Faktoren herausrücken. „Ich“, sagt derweil sein rehabilitiertes Berliner Pendant, „war damals doch die Ruhe selbst.“ Für die Spieler allerdings „ist es ein gewisses Alibi, wenn der Trainer in der Kritik steht“.
Unterdessen versammelt der verunsicherte Middendorp seine Mannschaft nach dem Trainingslager in Herzlake vor der Berlin-Partie nun bis zum nächsten kritischen Kick in Köln in der Herberge des Hauptsponsors, um bis Samstag kollektiv die psychische Instabilität auszutreiben. Der aufwärtstrendige Röber erinnert derweil seinen Kollegen an dessen verkanntes Glück, statt unter Hauptstadtbedingungen in der Ruhe provinzieller Abgeschiedenheit mit lediglich zwei lokalen Tageszeitungen und einem Radiosender arbeiten zu dürfen: „Er kennt das in Berlin nicht. Das ist nicht zu vergleichen.“
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