: Benjamin Netanjahu verliert die Gefolgschaft
Machtkampf in Israels Regierungspartei Likud: Der Bürochef des Premierministers kündigt seinen Job ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Für Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu wird die Luft immer dünner. Am Sonntag abend mußte er den Rücktritt seines Bürochefs und engen Vertrauten, Avigdor Liebermann, annehmen. Gestern drohte dann sein stellvertretender Erziehungsminister, Moshe Peled, vom „Groß-Israel- Block“, mit einem Mißtrauensantrag. Begründung: Netanjahu wolle weitere Teilrückzüge der Armee im Westjordanland durchführen. „Eretz Israel ist wichtiger als jede Regierung“, sagte er im israelischen Rundfunk. Der „Groß-Israel-Block“ verfügt in der Knesset über rund 20 Mandate und könnte die Regierung zu Fall bringen.
Vor Liebermanns Rücktritt hatte Netanjahu ein Referendum über die umstrittenen Vorwahlen der Parlamentskandidaten und eine Untersuchung der Vorgänge auf dem Parteitag angeordnet. Liebermann war von vielen Delegierten als die treibende Kraft zur Absetzung der Vorwahlen angesehen worden. Führende Parteipolitiker des Likud erklärten gestern gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz, Netanjahu habe verstanden, daß er als Ministerpräsident abgesetzt werde, wenn er an Liebermann festhalte. Dies offenbare seine „fürchterliche Lage“ in der Partei. Netanjahu stehe derzeit völlig allein da, nachdem er alle Abgeordneten und Minister desavouiert habe. Netanjahu hatte vor dem Likud-Parteitag versprochen, das Thema Vorwahlen nicht zur Abstimmung bringen zu lassen.
Mit seinem Rücktritt dürfte Liebermann Netanjahu einen Gefallen getan haben, der ihm zumindest kurzfristig eine Wiederannäherung an seine düpierten Kabinettskollegen ermöglicht. Der Fraktionschef des Likud in der Knesset, Meir Schitrit, sagte: „Mit dem Rücktritt hat Liebermann viel dazu beigetragen, die Probleme im Likud zu lösen.“ Gleichwohl kann der Rücktritt des „starken Mannes“ in Netanjahus Nähe auch als ein Zeichen der Schwäche des Ministerpräsidenten interpretiert werden. Zum ersten Mal sah sich Netanjahu gezwungen, zwischen seinem Bürochef und seinen aufmüpfigen Ministern zu wählen. Daß er sich zugunsten der Minister entschied, betrachten diese als ihren ersten großen Sieg.
Doch ist die Machtprobe im Likud damit keineswegs ausgestanden. Teile des Zentralkomitees der Partei trafen gestern abend zusammen, um über den Rücktritt Liebermanns und die Versuche von Likud-Abgeordneten und Ministern zu beraten, Netanjahu während seiner anstehenden Reise in die USA zu stürzen. Sollte das Zentralkomitee in Zukunft die Entscheidung über die Aufstellung der Listenplätze behalten, droht einer Reihe von Abgeordneten das politische Aus. Nicht zuletzt deshalb ist die Idee, Netanjahu zu stürzen, ohne die Regierungsmacht zu verlieren, noch keineswegs tot. Vor allem Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert wird immer wieder nachgesagt, im stillen die Machtübernahme vorzubereiten und nur auf den passenden Zeitpunkt zu warten.
Die zukünftige politische Rolle von Liebermann dürfte deshalb nicht ohne Bedeutung sein. Er selbst hat angekündigt, Netanjahu auch weiterhin zur Verfügung zu stehen. Als „starker Mann“ im 2.700köpfigen Zentralkomitee der Partei könnte Liebermann beispielsweise die Likud-Aktivisten gegen die Abgeordneten und Minister aufbringen und Netanjahu damit indirekt den Rücken stärken. Und wenn Netanjahu den Showdown mit seinen Ministern verlieren sollte, könnte er Neuwahlen ausschreiben und damit den Rebellen in der Knesset ihre sicheren Parlamentsplätze streitig machen. Liebermann, so die Spekulation, würde dann die Wahlkampagne führen.
Unterdessen unterbreitete Netanjahu gestern den Vorschlag, den Palästinensern sechs bis acht Prozent des Westjordanlandes zu übergeben. Nach Angaben des israelischen Rundfunks will er damit die erste und zweite Phase der im Oslo-Abkommen vereinbarten Teilrückzüge zusammenlegen. Der dritte vereinbarte Teilrückzug soll erst nach Aufnahme der Abschlußverhandlungen mit den Palästinensern eingeleitet und von einer kompromißloseren „Bekämpfung des Terrorismus“ durch die Autonomiebehörde abhängig gemacht werden. Das israelische Sicherheitskabinett trat gestern abend zu Beratungen über den Vorschlag zusammen. Bislang kontrolliert die palästinensische Autonomieregierung lediglich zwei Prozent des Westjordanlandes. Die US-Regierung erwartet entgegen Netanjahus Vorschlag einen Rückzug im Umfang von wenigstens zehn bis 15 Prozent. Palästinenserpräsident Jassir Arafat verlangt, daß mindestens 40 bis 50 Prozent des Westjordanlandes seiner Kontrolle unterstellt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen