: Jung und wild in Andernach am Rhein
Kann sein, daß er in Bonn mal umfällt. Aber hartnäckig bleibt er: Der CDU-Abgeordnete Peter Altmaier arbeitet für seine Forderungen auch dann, wenn sie in seiner Partei keine Konjunktur haben ■ Von Andrea Böhm
Das kommt davon, wenn man die Zugehörigkeit zu einer auserlesenen Gruppe reklamiert. Auch noch zu einer, deren Name allen Spöttern, Feinden, Abgebrühten und Enttäuschten gleich kübelweise Stoff für Häme liefert. Als „Bettvorleger“ und „Schlappi“ haben sie ihn schon ausgelacht, als „Umfaller“ tituliert. Das kommt davon, wenn man zur kleinen Spezies des Homo iuvenis ferus, der „jungen Wilden“, gezählt wird. Diesem Etikett gerecht zu werden fällt einem in der Kunst leichter als in der CDU, weshalb Peter Altmaier des öfteren mit selbigem hadert. Der Erwartungsdruck ist ihm ein bißchen zu hoch. „Was wollen Sie denn noch? Daß wir unsere Regierung stürzen?“
Bei diesen Worten sieht er noch weniger wild aus als sonst. Die Hände hinter seinem Kopf verschränkt, dessen Frisur so ziemlich das einzige sein dürfte, was er mit Gregor Gysi gemein hat. Den oft beklagten, aber erfolglos bekämpften Bauch gen Schreibtischkante gestreckt, die Augen, die immer ein wenig nach Zustimmung heischen, sind geschlossen, als ob er schläft. Der Mann redet gern und lange mit geschlossenen Augen, weil „mich das entspannt“. Peter Altmaier muß sich entspannen, weil es sechs Uhr abends ist und er bereits einer Delegation amerikanischer Juden das deutsche Staatsbürgerrecht sowie einer Besuchergruppe des „Turn- und Sportvereins Ensdorf“ die Tücken der Rentenreform erklärt hat.
Jetzt steht ihm noch eine Podiumsdiskussion der katholischen „Kolpingfamilie“ in Andernach, einer Kleinstadt bei Bonn, bevor: „Beieinander leben, miteinander auskommen – Ausländer und Deutsche“. Seit er sich mit einigen anderen in der CDU dafür einsetzt, allen hier geborenen Kindern ausländischer Eltern einen deutschen Paß auszustellen, ist Altmaier bei diesem Thema ein gefragter Mann. Auch jetzt noch, da die Parteispitze im Schulterschluß mit der CSU die Reformdebatte über das deutsche Staatsbürgerrecht wieder einmal ad acta gelegt und jungen wie älteren Wilden wieder einmal gezeigt hat, wo der Hammer hängt: im Kanzleramt; und dort hat Helmut Kohl beschlossen, daß ein Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft weiterhin nur hat, wer deutschen Blutes ist.
Peter Altmaier – 39 Jahre alt, Jurist, derzeit beurlaubter Beamter der Europäischen Kommission in Brüssel, ausgestattet mit veritablen Sprachkenntnissen in Englisch, Französisch und Holländisch – findet das falsch und für die Zukunft dieser Gesellschaft gefährlich. Aber er, der noch vor ein paar Monaten mit einigen anderen die Majestätsbeleidigung gewagt hatte, Kohls Eignung für eine weitere Legislaturperiode als Kanzler in Frage zu stellen, wird nun nichts mehr tun, um dessen Wiederwahl zu gefährden. „Für die Diskussionskultur innerhalb der Partei haben wir Enormes geleistet. Aber in erster Linie sind wir Christdemokraten, die für ihre Partei Wahlen gewinnen wollen.“ Jetzt hat er die Augen wieder offen und blickt vom Fenster seines Bundestagsbüros im siebten Stock auf die Lichter des Bonner Feierabendverkehrs. Ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt leuchten riesig und rot die Buchstaben CDU vom Dach der Parteizentrale. Auf daß er auch im Dunkeln nicht vom rechten Weg abkommen möge.
Der war, was die politische Sozialisation angeht, so gerade wie der Mittelstreifen der Autobahn, auf dem Altmaier zu nächtlicher Stunde stur entlangfährt, weil ihm das „bei der Orientierung hilft“. Aufgewachsen in einem konservativen Haushalt im saarländischen Ensdorf, der Vater Bergmann, die Mutter Krankenschwester. Mit elf Jahren fand er Bundestagswahlen so spannend wie Gleichaltrige die Bundesliga. Franz Josef Strauß beeindruckte ihn ungemein. Zu den wöchentlichen Fernsehhöhepunkten zählte Gerhard Löwenthals „ZDF-Magazin“, wo den Sozis regelmäßig eins übergebraten wurde. Mit 15 Jahren trat er in die Schülerunion ein, wurde Orts-, Gemeinde-, Kreis- und schließlich Landesvorsitzender der Jungen Union Saar, dann in den Landesvorstand der saarländischen CDU und 1994 schließlich in den Bundestag gewählt. „Die ganze Ochsentour“, sagt er.
Bekanntermaßen stutzt der Marsch durch die Institutionen den Hang zu unorthodoxem Denken, doch bei Altmaier verlief die Entwicklung andersherum. Franz Josef Strauß‘ Stirnadern würden vor Wut anschwellen, könnte er noch erleben, was sein einstiger Fan heute in der CDU so alles fordert: die „Enttabuisierung der Grünen“, die Integration der Ökologie in die Parteipolitik und der Ausländer in die Gesellschaft, mehr Toleranz für Schwule und Lesben, die Verringerung der Bundestagsmandate um ein Drittel, die Rehabilitierung von Wehrmacht- Deserteuren... Und wenn er so richtig in Schwung ist, reformiert Altmaier in Gedanken nicht nur die CDU, sondern auch noch die UNO und denkt über die Synthese von Margaret Thatcher und Rudolf Dreßler im Angesicht der Globalisierung nach.
„Von den ,jungen Wilden‘ traut der sich noch am meisten“, bescheinigt der bündnisgrüne Abgeordnete Volker Beck seinem Amtskollegen Altmaier. Beide gehören sie zur „Pizza Connection“, einer Bonner Runde von CDUlern und Grünen, die sich bei einem regelmäßigen Abendessen gegenseitig enttabuisieren. So entspannt ist die Stimmung nicht, wenn Altmaier in der eigenen Fraktionssitzung das Wort ergreift. Da wird schon mal gejohlt. Da sieht ein gestandener CSUler schon mal rot. Der Abgeordnete Zeitlmann zum Beispiel, der Altmaier und Co. „mit der Gartenschere an die Eier“ wollte, als diese mit ihrer Forderung nach Reform des Staatsbürgerrechts das deutsche Reinheitsgebot bedrohten. Wer braucht noch Feinde, wenn er solche Parteifreunde hat?
Wüßte Zeitlmann zudem noch, daß der Christdemokrat Altmaier nicht einmal an ein Leben nach dem Tod glaubt, würde ihm die Gartenschere vor Schreck gleich aus der Hand fallen. Das Neue Testament hat er gelesen. „Aber ich sehe das“, sagt Altmaier, „eher als gute Ordnungsgrundlage, um das irdische Leben möglichst erträglich zu gestalten.“ Das klingt jetzt nach einem heroischen Kampf gegen Bonner Windmühlen und bajuwarische Bierschädel. Aber Heldenmut will Peter Altmaier nach kurzem Zögern doch nicht für sich in Anspruch nehmen. Eher Hedonismus. Was er macht, muß Genuß bringen. Daß eine Existenz als schweigsamer Hinterbänkler im Bundestag für ihn undenkbar ist, glaubt man ihm aufs Wort. Dafür redet er viel zu gern und sonnt sich viel zu gern in der Aufmerksamkeit, die ihm die FAZ mit spottenden Kommentaren, die Zeit mit Interviews oder der Kanzler mit ungnädigen Blicken zukommen läßt.
Bloß siegt am Ende in seinem Herzen nicht nur die Parteiräson, sondern auch die Ehrfurcht vor dem Denkmal Kohl. „Woher weiß ich denn mit meinen 39 Jahren, daß dieser Mann mit seinem Lebenswerk falsch liegt und ich richtig?“ sagt er. So redet keiner, der wirklich putschen will. So redet einer, der im Familienklan gegen den Patriarchen aufmuckt, der sich erst ärgert und dann wehmütig an seine eigene wilde Jugend zurückdenkt.
Es ist zwanzig nach sieben, und Altmaier ist mit der „für mich üblichen“ Verspätung im Gasthof des Andernacher Kolpinghauses eingetroffen, das bereits mit 60 Bürgern, dicken Zigarettenschwaden und dem Geruch von Bockwurst gefüllt ist. Das „Asbach Uralt“- Schild über der Theke macht seinem Namen alle Ehre. Dumpfes Grollen im Hintergrund verrät, daß die Kegelbahn in Betrieb ist. Das Wort hat der Vertreter der SPD, der rheinland-pfälzische Finanzminister Gernot Mittler, der zwar praktischerweise in der Nähe von Andernach wohnt, aber vom Thema keine Ahnung hat. Dafür beherrscht er die Politikerkunst, mit dem üblichen Repertoire an Gesten und rhetorischen Versatzstücken zwanzig Minuten zu zerreden und dabei wichtig zu wirken. So stutzt kaum jemand, als er „Abschiebung“ mit „Verabschiedung“ verwechselt und gegen Ende immer mehr Sätze mit den Worten beginnt: „Nicht, daß ich einem Populismus das Wort reden will, aber...“
Dann kommt Altmaier. Er ruckt ein bißchen ungelenker mit dem Körper als der Herr Minister. Dafür merken alle, daß dem Mann das Thema am Herzen liegt. Zwischen Gummibäumen und Kegelpokalen versucht er, die Leute in den Kopf eines jungen Türken in Deutschland hineinzuversetzen, gebraucht ganz vorsichtig Ausdrücke wie „Ausländerfeindlichkeit“ oder Statistiken, die besagen, daß Immigranten in Deutschland nicht krimineller sind als Deutsche auch. „Einen Sauhaufen hat das Zigeunerpack aus diesem Land gemacht!“ dröhnt es von hinten, obwohl der Moderator doch eingangs gebeten hatte, emotionale Diskussionsbeiträge zu unterlassen.
Altmaier kennt das, redet weiter, erläutert die Notwendigkeit der Immigranten für das Rentensystem. „Schauen Sie mich an“, sagt er, ledig und kinderlos. „Bevölkerungspolitisch bin ich ein Totalausfall.“ Er erklärt die doppelte Staatsbürgerschaft und zerstreut Zweifel an der Loyalität von Immigranten gegenüber dem deutschen Staat. „Der türkische Arbeiter, der dreißig Jahre bei der Müllabfuhr geschuftet und seine Steuern gezahlt hat, ist ja wohl loyaler als ein RAF-Terrorist mit deutschem Paß.“ Die drei anwesenden ausländischen Mitbürger können mit diesem Vergleich sichtlich wenig anfangen. „Sauhaufen!“ krächzt es wieder von hinten. Dann kann die Mehrheit der Anwesenden endlich klarmachen, daß sie die „klassischen Ausländer“ gar nicht stören, sondern die Aussiedler aus Kasachstan, die zwar laut Grundgesetz Deutsche sind, aber sich, bitte schön, doch nicht so geballt in Andernach niederlassen müssen.
„Der Fairneß halber“ spricht schließlich noch der örtliche Vorsitzende des Ausländerbeirats und Pizzeria-Besitzer, den man nach 36 Jahren Aufenthalt in Deutschland leider immer noch nicht versteht. Am Ende herrscht grummelige Zufriedenheit. Wer wollte, konnte Dampf ablassen, und alle haben sich gegenseitig mehr „Verständigungswillen“ versprochen. Altmaier schüttelt Hände, nimmt Lob zu seinem Referat und ein Pamphlet über den „Sauhaufen Deutschland“ entgegen. Er schaut müde und zufrieden drein. Heute abend war er im Vergleich zum SPD-Minister mal wieder richtig jung und wild. Mag sein, daß er in Bonn ab und an umfällt. Aber es soll ihm keiner sagen, er wäre nicht hartnäckig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen