■ Eine neue Initiative der Vereinten Nationen will nicht hinnehmen, daß Aids nur bei wohlhabenden Patienten in den reichen Ländern gelindert wird. In vier Ländern Asiens Afrikas und Amerikas sollen die Medikamente armen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Interview mit Roland Msiska, Leiter von Unaids Von Manfred Kriener: „Schritt für Schritt die Situation verändern“
Stellt euch vor, sie können Aids heilen, und keiner kann die Medikamente bezahlen. Die Vorstellung ist nicht ganz abwegig. Schon jetzt sind die teuren antiviralen Mittel, die das Virus zumindest in Schach halten, für 92 Prozent der Infizierten auf der Welt nicht verfügbar. Unaids, die UN-Organisation, die den Kampf gegen die Epidemie aufgenommen hat, will diese Mauer zwischen arm und reich für zwei Jahre durchbrechen und in vier Ländern Aidsarzneien zur Verfügung stellen. Das ehrgeizige Projekt für Chile, Uganda, die Elfenbeinküste und Vietnam startet Anfang kommenden Jahres.
taz: In den Entwicklungsländern leben mehr als 25 Millionen Menschen mit HIV und Aids. Sehen Sie eine Chance, sie jemals mit den Medikamenten zu versorgen, die sie brauchen?
Roland Msiska: Wir arbeiten bei Unaids an einer globalen Strategie, die versucht, die Schwierigkeiten in den Entwicklungsländern bei der Medikamentenversorgung anzupacken. Um die Situation zu verbessern, könnte viel getan werden.
Aber Sie werden niemals alle Menschen versorgen können.
Das ist richtig. Zunächst müssen wir sehen, daß die Situation in jedem Land anders ist. Die Probleme und die Verfügbarkeit von Arzneien sind sehr unterschiedlich. In manchen Ländern fehlen nicht nur die sehr teuren antiviralen Mittel, sondern auch einfache Arzneien. Es sind vier Gruppen von Aidsmedikamenten, über die wir reden. Zunächst sind es die lindernden Basisarzneien wie Aspirin und andere Schmerzmittel. Dann haben wir die Mittel zur Behandlung der Begleitinfektionen von Aids, Pilzerkrankungen zum Beispiel oder die Tuberkulose. Die dritte Gruppe sind die Arzneien gegen Krebs, vor allem gegen den HIV-typischen Hautkrebs Kaposi Sarkom, und dann geht es natürlich um die antiviralen Medikamente als vierte Gruppe. Einige Länder haben Versorgungsprobleme auf der gesamten Skala. Deshalb versucht unsere Initiative auch, die Versorgung mit Schmerzmitteln, mit Medikamenten gegen Pilze und gegen Lungenentzündungen zu verbessern.
Können Sie für ein oder zwei Länder beschreiben, wie die Versorgungssituation dort genau aussieht?
Wenn Sie nach Lateinamerika gehen, sehen Sie, daß in Ländern wie Brasilien selbst die teuersten und neuesten antiviralen Medikamente für die meisten Patienten verfügbar sind. Ganz anders ist die Situation im südlichen Afrika, wo wir weltweit die höchste Infektionsrate und die meisten Aidskranken haben. Dort können sich nur eine Handvoll von Menschen Aidsmedikamente leisten, die sie dann selbst bezahlen. Das Gesundheitssystem dieser Länder ist nicht in der Lage, die Kranken ausreichend zu versorgen.
Wie sieht im südlichen Afrika die Behandlung aus? Gibt es sie überhaupt?
Es gibt schon eine Art Behandlung. Einige Basismedikamente und Schmerzmittel sind meist vorhanden. Es wird auch versucht, die Begleitinfektionen von Aids zu lindern. Aus eigener Initiative besorgen sich einige wenige Patienten, die das Geld haben, antivirale Medikamente – zu extrem hohen Preisen.
Der Vorstoß von Unaids will diesen Notstand jetzt angehen. Sie wollen in vier Ländern im Rahmen einer Studie eine eingegrenzte Patientengruppe mit allen notwendigen Medikamenten versorgen. Kann dabei am Ende mehr herauskommen als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein?
Dieser Vorstoß ist nur ein Teil unserer Anstrengungen. Es gibt viele andere Initiativen. Wir verhandeln mit den Herstellern, um bestimmte Medikamente verfügbar zu machen. Und wir verhandeln mit den Regierungen, um die Medikamentenpolitik dieser Länder zu verändern. Die Pilotstudie ist nicht alles, was wir tun.
Was erhoffen Sie sich?
Wir wollen die beiden wichtigsten Hindernisse für die Medikamentenversorgung ins Auge fassen: die hohen Kosten und die fehlende Infrastruktur zur Anwendung der Mittel. Die vier Länder, in denen unsere Pilotstudie läuft, sind sehr verschieden – was das Ausmaß der Aids-Epidemie angeht, das jeweilige Gesundheitssystem und was die verfügbaren Ressourcen betrifft. Wir wollen die Machbarkeit einer Behandlung unter ganz unterschiedlichen Bedingungen erproben. Einmal testen wir, wie weit wir durch die Unterstützung der Pharmakonzerne den Preis für die Medikamente senken können und was die Behandlung pro Patient dann tatsächlich kostet. Zweitens testen wir die medizinische Infrastruktur: Die Behandlung mit antiviralen Mitteln ist nicht einfach. Resistenzentwicklungen müssen zum Beispiel frühzeitig erkannt werden.
Wie viele Patienten wollen Sie in die Studie aufnehmen? Und wie lange wird dieses Pilotprojekt laufen?
Was die Basismedikamente angeht – vor allem die Schmerzmittel, aber auch die Medikamente gegen Pilze und Infektionen –, so wollen wir diese Arzneien generell für alle HIV-Patienten in diesen Ländern verfügbar machen. Bei den teuren Medikamenten wird jedes Land aufgrund der Finanzsituation eigene Kriterien aufstellen, welche Patienten die Mittel bekommen. Ich kann deshalb auch nicht sagen, wie viele es am Ende sein werden.
Werden es einige hundert sein, Tausende oder eine Million?
Natürlich können es nicht Millionen sein, aber einige tausend werden die Mittel bekommen. Wir werden das Projekt zwei Jahre lang verfolgen, werden regelmäßig über die Erfolge und Probleme berichten, und wir werden hoffentlich unsere Lektion lernen. Andere Länder sollen von diesen Erfahrungen profitieren.
Kritiker werden die Frage stellen, ob nicht das Geld für die superteuren Medikamente gespart und in die Prävention investiert werden sollte, weil man damit möglicherweise mehr Leben retten könnte.
Unser Projekt macht natürlich nur dann Sinn, wenn wir vernünftige Preise bekommen. Aber man sollte die Frage von Prävention einerseits und der Versorgung mit Medikamenten andererseits nicht als entgegengesetzte Strategien sehen. Die Präventionskampagne der Länder werden überzeugender und glaubwürdiger, wenn der Staat auch die Pflege und die Versorgung mit Arzneien besser organisiert. Die Versorgung der Kranken ist ein sehr gutes Instrument, um Solidarität zu demonstrieren, die wir bei Aids dringend brauchen.
Glauben Sie, daß der hohe Preis für die antiviralen Medikamente gerechtfertigt ist? Oder wollen sich die Pharmakonzerne mit Aids lediglich eine goldene Nase verdienen?
Wir von Unaids versuchen, die Pharmakonzerne als Partner zu betrachten. Wir verhandeln und diskutieren mit ihnen, wie wir die Preise reduzieren können. Das ist sinnvoller als jede Konfrontationsstrategie. Es ist ja auch erfreulich für die Hersteller, wenn ihr Markt größer wird und wenn mehr Menschen Zugang zu ihren Medikamenten bekommen. Natürlich haben sie hohe Entwicklungskosten für diese Medikamente. Nur eines von hundert läßt sich auf dem Markt plazieren.
Wie stark werden die Preise für dieses Pilotprojekt seitens der Pharmaindustrie gesenkt?
Das steht noch nicht fest. Es hängt stark davon ab, wie viele Hersteller unsere Initiative unterstützen werden. Auf jeden Fall, das hoffen wir jedenfalls, werden die Preise sehr, sehr viel niedriger sein als der gegenwärtige Marktpreis.
Wenn nur eine ausgewählte und sehr kleine Gruppe von Patienten die teuren antiviralen Mittel bekommt, werden die anderen dies als große Ungerechtigkeit empfinden.
Wir werden versuchen, die Medikamentenversorgung für alle zu verbessern, so daß alle von dem Projekt profitieren. Was die teuren antiviralen Medikamente angeht, haben wir nur eine geringe Kapazität. Aber welche Wahl haben wir denn? Wir können entweder gar nichts tun und so lange warten, bis wir allen Patienten helfen können. Aber wann wird das sein? Wir können nur Schritt für Schritt versuchen, die Situation zu ändern und allmählich die Zahl derjenigen erhöhen, die wir mit Medikamenten versorgen. Natürlich gibt es Probleme, natürlich gibt es Ungerechtigkeiten. Aber es gibt keinen anderen Weg.
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