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Anthropologische Mutationen Von Barbara Häusler

Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit der Menschheit setzt sich diese aus zwei höchst antagonistischen Archetypen zusammen: aus den Sammlern und den Wegwerfern. Antagonistisch bedeutet in diesem Zusammenhang „wie Hund und Katze“, und deshalb muß man sich wundern, daß es so etwas wie die Menschheit heute überhaupt noch gibt.

Die Anthropologie lehrt uns, daß der Mensch als Jäger und Sammler erfunden wurde, das heißt, der eine fing Bären, und der andere hob die Bären auf für Zeiten, wenn es gerade mal keine Bären gab. Von den Wegwerfern hat man in anthropologischen Zusammenhängen dagegen noch nie etwas gehört, das heißt, sie waren für die Entwicklung der Menschheit gar nicht vorgesehen. Wie hätte die auch überleben sollen: Da bringt der Jäger einen Bären, der Sammler hebt ihn ordentlich auf, und dann kommt einer und wirft ihn einfach weg. Nein, der Wegwerfer muß irgendwie später dazugekommen sein, wie, das ist noch unerforscht. Meine Arbeitshypothese lautet jedenfalls: Der Wegwerfer ist eine anthropologische Mutation, eine Laune der Natur, nur dazu da, den Jägern und Sammlern das Leben sauer zu machen und ihnen dumme Fragen zu stellen.

Mein Freund M. und ich sind gute Jäger und Sammler. Leider haben wir es über Gebühr mit Wegwerfern zu tun, die uns das Leben sauer machen und dumme Fragen stellen. Etwa: „Was ist das?“ oder: „Wofür brauchst du das?“ Man könnte nun antworten: „Das ist ein Elektrisierapparat, so was wollte ich schon immer mal haben.“ Aber das ist sinnlos, Wegwerfer verstehen das nicht. Also sammelt man möglichst unauffällig weiter. Mein Freund M. hat es da leichter, weil er stärker ist als ich. Der lädt sich das Biedermeiersofa einfach aufs Fahrrad, stellt es in die Wohnung und schafft so vollendete Tatsachen. Ich dagegen muß einen oder womöglich mehrere Wegwerfer anbetteln, mir meinen neuen Küchenschrank (1.30 x 2.50 Meter, Eisen, ochsenblutrot) aus der aufgelassenen Fabrik zu tragen.

Niemals verstehen wird der Wegwerfer auch das System sinnvoller Vorratshaltung. Ich zum Beispiel werde in meinem Leben nie mehr auch nur einen einzigen Zentimeter Geschenkband kaufen müssen, seit ich mir vom Flohmarkt zwei Rollen à 400 Meter (zwei Breiten, grün) beschafft habe. Und als ich mir in diesem Sommer mit dem Erwerb einer seetauglichen Luftmatratze einen Kindheitstraum erfüllte, kaufte ich gleich zwei. Weiß man, wen man damit noch erfreuen kann?

Manchmal möchte man aber schreien. Etwa, wenn man einem Wegwerfer gestattet hat, den Keller aufzuräumen, und er drei Wochen später fragt: „Sag mal, hatten wir nicht irgendwo...?“ Weg, aus, futsch. Und das Schlimmste ist: Ich wußte genau, daß es so kommen würde. Unser schrecklichstes Erlebnis hatten M. und ich während einer Überlandfahrt mit zwei Wegwerfern. Da kamen wir durch ein Dorf, in dem gerade Sperrmüll war. Die beiden, einer davon am Steuer, schrien im Chor: „Ihr braucht nichts!“ – und fuhren einfach durch.

Einmal haben mein Freund M. und ich etwas erbeutet, es schön aufgehoben, und dann sind wir beinahe reich damit geworden. Aber diese Geschichte erzähle ich das nächste Mal.

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