: Potsdamer Merkwürdigkeiten
■ Brandenburger Arbeits- und Sozialministerium bestätigt Kritik des Landesrechnungshofs. Mehrere Millionen Mark ungeprüft vergeben. Kritik an Ministerin Hildebrandt
Potsdam (taz) – Es war eine heikle Aufgabe, die der Staatssekretär im Brandenburger Sozialministerium, Clemens Appel, zu erledigen hatte. Am Montag hatte der Spiegel aus einem Bericht des Landesrechnungshofs zitiert, wonach Fördermittel über 30 Millionen Mark ungeprüft an die Beratungsfirma BBJ Servis gGmbH vergeben worden waren.
Gestern räumte Appel schwere Versäumnisse seines Ministeriums ein. Seit 1991 seien Verwendungsbescheide im Arbeits- und Sozialbereich kaum geprüft worden, und auch die Vergabe wurde nur unzureichend dokumentiert. Jetzt seien zwei Prüfgruppen mit zehn Mitarbeitern dabei, das Versäumte nachzuholen. Allerdings: Einige Mitarbeiter hätten erst von der Notwendigkeit einer Kontrolle überzeugt werden müssen.
Appel bestätigte auch, daß 21 von 23 Verträgen zwischen 1992 und 1996 ohne Ausschreibung an die BBJ vergeben worden waren. Nur zwei waren an mehrere Anbieter ausgelobt worden. Dabei hatten deutlich kostengünstigere Angebote vorgelegen, so der Prüfbericht. Daß der Quasi-Monopolist BBJ bevorzugt worden war, sei vom Landesrechnungshof „etwas aus dem Zusammenhang gerissen worden“, so Appel. Ziel sei gewesen, die Förderszene „nicht zu zersplittern“. Die BBJ berät Projekte im Jugend- und Sozialbereich und bei der Einspeisung von Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds.
Den Rechnungsprüfern waren allerlei Merkwürdigkeiten aufgestoßen: Die im Ministerium für die EU-Mittel zuständige Referatsleiterin war zuvor BBJ-Geschäftsführerin; der damalige Staatssekretär Olaf Sund saß im BBJ-Beirat. Beide nahm Appel gestern in Schutz. So habe die Referatsleiterin ihren Posten vor dem Eintritt ins Ministerium aufgegeben und ihren Anteil an der BBJ abgetreten. Sund sei im Beirat nicht mit der Mittelvergabe betraut gewesen. Der Staatssekretär ist mittlerweile aus Altersgründen aus dem Amt geschieden.
Appels Entlastungsversuch dürfte das Ministerium kaum aus der öffentlichen Schußlinie bringen. Denn der frühere Staatssekretär Detlef Affeld und drei weitere Mitarbeiter stehen im Februar vor Gericht. Ihnen wird gemeinschaftliche Untreue vorgeworfen. Sie sollen mehr als 20 Millionen Mark Fördermittel unrechtmäßig an Gesundheitsvereine und Projekte überwiesen haben.
Derweil prüft die Potsdamer Staatsanwaltschaft, ob gegen Arbeits- und Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Untersucht wird, ob sie von der freizügigen Mittelvergabe wußte. Severin Weiland
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