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Zäpfchen im Rachenwind

Schnarcher haben keine Lobby – noch nicht, droht  ■ Heinz-Günter Hollein

Ins Nebenzimmer abgeschoben, bei übernachtenden Besuchern prophylaktisch denunziert und als klinischer Risikofall ausgegrenzt: Schnarcherschicksale am Ende des zweiten Milleniums. Und es ist mitnichten allein ein anonymer medizinisch-industrieller Komplex, der mit Schlaflabors und Klebepflastern bedenkenlos zur Ausrottung einer ganzen Spezies rüstet. Nein, es sind vor allem jene, die uns am nächsten liegen, die uns mit glaubenskriegerischer Inbrunst den Finger der Verdammnis entgegenstrecken und mit ihrem apodiktischen „Du schnarchst!“mundtot machen wollen.

Ist der Vorwurf einmal ausgesprochen, beginnt für den Schnarcher der Teufelskreis aus Selbstverleugnung und Erniedrigung. „Ich schnarche nicht!“versucht sich der eine mit Scheinbekenntnissen ins andere Lager zu retten. „So laut kann es doch wirklich nicht sein“, bittet der andere unterwürfig winselnd um Gnade. Tut nichts, der Schnarcher wird geboxt, die Nase wird ihm zugehalten, man pfeift ihm ins Ohr. Die Mitschläfer sind Ankläger, Richter und Vollstrecker zugleich. Als Beweis gilt allein ihr Wort, gegen ihren Spruch gibt es keine Berufung.

Der Versuch gar, EntlastungszeugInnen beizubringen, liefert den Schnarcher vollends dem innerpartnerschaftlichen Sanktionsinstrumentarium aus. Und so gehen viele in die Knie, verbringen die Nächte angstvoll verkrampft auf Nackenkissen, schnaufen unter dem entwürdigenden Aufsatz einer Nasenklemme oder unterziehen sich verstümmelnden Eingriffen, alles in der Hoffnung, sich von dem vermeintlichen Stigma befreien zu können.

Und warum das alles? Schnarcher haben keine Lobby, keine Pressure Group. Noch nicht. Aufklärung, Vernetzung, Handlung sind die drei dringendsten Desiderate im Behauptungskampf der schnarchenden Mehrheit. „Es knattert unser Zäpfchen im Rachenwind“, lautet die selbstbewußte Anfangszeile eines bezeichnenderweise noch anonym bleiben wollenden Autors einer möglichen zukünftigen deutschen Schnarcherhymne. Und in den Tiefen des nächtlichen Äthers vernehmen eingeweihte Ohren mit „proud to sleep loud“denn auch bereits den Sammlungsruf zu einer weltumspannenden Schnarcheroffensive.

Die Zeit der verschämten Stille, scheint es, geht zu Ende.

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