: Hausverkauf in Rheinhausen
Vor 10 Jahren kämpften Rheinhausener um ihre Hütte. Jetzt verkauft Krupp Werkswohnungen alter Stahlwerker ■ Von Michael Franken
Dem Cromme habe ich nie geglaubt“, sagt Irmgard Chlebik. Und steckt die abgegriffene Videokassette in den Recorder. Streikende Stahlarbeiter vor Tor 1. Transparente, Mahnwachen, Kruppianer. Und nur eine Botschaft: „Rheinhausen muß leben“. Das war vor genau 10 Jahren. Irmgard Chlebik zeigt auf den Bildschirm, „Die mit der grünen Jacke, das bin ich.“ Die damals 56jährige Betriebsrätin „Irmi“ gründete zusammen mit anderen die Rheinhausener Fraueninitiative. Eher als die Männer, sagt sie, hätten die Frauen erkannt, daß es nicht nur um die Arbeit auf der Hütte ging.
Szenen aus dem legendären Arbeitskampf flimmern vorbei. Chlebik gießt nach, Darjeeling, gut durchgezogen. Gleich kommt die Stelle: Kameraschwenk über Hunderte Gesichter. Frauen, Kinder, Stahlwerker, sie alle hofften noch im Dezember 1987. Da ist sie wieder, Chlebik, diesmal mit Mikrophon. Ihre Stimme überschlägt sich: „Glaubt ihr, es geht nur um Arbeitsplätze? Glaubt ihr, daß die hier noch lange billige Werkswohnungen anbieten, wenn hier kein Werk mehr ist?“
Heute, nach zehn Jahren, hat diese Frage viele Frühpensionäre und Rentner in den Arbeitersiedlungen rund um das 260 Hektar große Krupp-Hüttengelände eingeholt. Es ist wieder unruhig geworden. Die Gerüchteküche brodelt. Krupp wolle sich ganz aus Rheinhausen verabschieden, heißt es. Irmgard Chlebik hat das kommen sehen, zumindest geahnt. Das Feuer im Stahlwerk ist im August 1993 endgültig ausgegangen. 4.000 Stahlarbeiter wurden arbeitslos. die Arbeitslosenquote in Rheinhausen liegt heute bei knapp 20 Prozent. „Und nun kommen noch die Spekulanten“, schimpft die Ex- betriebsrätin.
Wir gehen in die Rosastraße. Dort hat der Ausverkauf angefangen. Kaum jemand in Rheinhausen hat zunächst etwas davon mitbekommen. Mietshäuser, vier bis fünf Stockwerke hoch, wie Anfang der 60er Jahre eben Sozialwohnungen gebaut wurden. Aber mit viel Grün zwischen den Blocks für die Stahlarbeiterkinder im Schatten der Hochöfen. „Das sind die Stücke, auf die es die Spekulanten abgesehen haben“, sagt Chlebik. Baugrundstücke sind in Duisburg knapp und teuer. Als Krupp vor 40 Jahren in Rheinhausen einige tausend Mietwohnungen aus dem Boden stampfen ließ, waren Grünflächen noch kein Luxus. Heute sind sie groß genug, um neue Häuser draufzusetzen.
Die Rosastraße ist Baustelle. Die Straßenfront wurde schon renoviert, vereinzelt sind neue Fenster eingesetzt. Hinter den Häusern stapelt sich der Bauschutt meterhoch. In einer Wohnung lebt Gülcan Dönmez mit seiner Familie. Seit fast 20 Jahren. Zwei Zimmer haben sie, Küche, Bad, 48 Quadratmeter, Kohleöfen, 420 Mark kalt. Das kann sich Dönmez gerade von seinen 1.800 Mark Nettolohn leisten. Jetzt sind da die Löcher in Wand und Decke, Kalk rieselt heraus.
Im Urlaub, als er nicht in Deutschland war, sei das passiert. Heimlich sei der neue Eigentümer in die Wohnung eingedrungen. Dreck und Bauschutt ließen die Handwerker zurück, erzählt Dönmez. Man habe ihm vor zwei Wochen angeboten, die Wohnung zu kaufen. „Wie soll ich 50.000 Mark aufbringen?“ fragt er. Und eine neue Wohnung findet er auch nicht. 1.200 Mark Miete sind zuviel. Bei den günstigeren Angeboten aber sprängen oft die Vermieter ab: „Als Türke hast du kaum eine Chance“, klagt Dönmez.
Irmgard Chlebik glaubt, daß die Rosastraße erst der Anfang ist. Die neuen Eigentümer kauften Mietwohnungen und wandelten sie um in Eigentumswohnungen, erzählen ehemalige Kollegen von der Hütte. Typisch Krupp, meint Chlebik, immer scheibchenweise: „Erst die Ausländer raus, dann sind die Deutschen dran“, sagt sie. Die meisten Bewohner seien Türken, die ihre Rechte als Mieter nicht genau kennen und zu schnell ausziehen würden.
Wir fahren die Friedrich-Alfred-Straße hoch, links und rechts Wohnblocks von der Stange, schnell und preiswert hochgezogen. Alles im Besitz der Krupp-Hoesch Immobilien GmbH. Rund 5.000 Wohnungen in Rheinhausen gehören dem Essener Stahlkonzern noch. Knapp 15.000 Menschen haben so ein vergleichsweise preiswertes Dach überm Kopf. Die Masse der Mieter sind ehemalige Krupp-Beschäftigte. Hier kennt man sich. Und hier will auch niemand weg. An der Ampel biegen wir rechts ab. Treffpunkt Trinkhalle, Ecke Brahmstraße.
Dort treffen wir Friedel Muchow, Thomas Tillmann und Achim Brendel. Sie sind der Kern einer kleinen Mieterinitiative. Krupp solle endlich klare Aussagen über die Zukunft der Kruppschen Wohnungen in Rheinhausen machen, fordern sie. Man habe aus den Erfahrungen des Arbeitskampfes gelernt. „Die spielen doch wieder mit gezinkten Karten“, meint Achim Brendel. Vor wenigen Monaten hatte der Geschäftsführer des Kruppschen Immobilienimperiums, Dr. Jochen Zech, noch öffentlich in Rheinhausen erklärt, der Konzern werde auf keinen Fall Wohnungen oder komplette Häuserblocks an Spekulanten verkaufen. Und im August schrieb der Arbeitsdirektor der Krupp AG, Jürgen Rossberg, an die verunsicherten 3.000 Mitglieder des Krupp-Pensionärs-Vereins: „Im Fall von weiteren Verkäufen wird die dafür zuständige Krupp Hoesch Immobilien GmbH besonderes Augenmerk bei der Auswahl der Käufer und der Erkennung derer Absichten für die Zukunft walten lassen, damit mit Mietern weiterhin in angemessener Weise umgegangen wird.“
In Rheinhausen schafft der Konzern unterdessen Fakten. So wurden 90 Wohnungen am Elsterweg, in der Adler- und in der Augustastraße an die Bochumer Firma „Häusser-Bau“ verkauft. Das Unternehmen, das auf kreditfinanzierter Basis Häuser aufkauft, sorgte bereits vor Jahren in Mülheim und in Herne für negative Schlagzeilen. „Häusser-Bau verdient nämlich durch schnelle Umwandlung in Eigentumswohnungen und nicht durch Vermietungen viel Geld“, erklärt Peter Heß vom Duisburger Mieterverein. Daß Krupp die Wohnungen überhaupt verkauft, überrascht ihn nicht. Der Konzern rechne eben in allen Bereichen, und die Immobilien könnten gewinnbringend losgeschlagen werden.
In Rheinhausen ahnen viele noch nicht, welche Lawine auf sie zurollt. So sind die Häuser am Elsterweg von Häusser-Bau zwar blau gestrichen worden. Doch das war's auch schon. Wenige Wochen nach dem Erwerb von Krupp hat die Bochumer Firma die drei Häuserblocks an die Mülheimer Firma „areal“ weiterverkauft. Und die bietet nun die Mietwohnungen als Eigentumswohnungen an. 50 Quadratmeter für rund 150.000 Mark.
Nur die Grünfläche mit der langen Straßenfront, die hat Häusser- Bau nicht verkauft: Dort sollen sechs Reihenhäuser entstehen. „Da hat Krupp den richtigen Spekulanten das Feld in Rheinhausen überlassen“, ärgert sich Rolf Holz, Fraktionsvorsitzender und Wohnungsexperte der Grünen in der Rheinhausener Bezirksvertretung. „Die ganze Verkaufspolitik der Konzernspitze wird den Duisburger Stadtteil Rheinhausen in wenigen Jahren verändern, wenn die Mieter keinen Widerstand leisten“, warnt auch Peter Heß vom Duisburger Mieterverein.
Irmgard Chlebik besucht unterdessen Krupp-Rentner in der Augustastraße. Auch hier sind Ende Oktober Vermessungstrupps aufgetaucht. „Die haben uns nie genau erklärt, was die hier machen“, sagt Willi Haßhoff, ehemaliger Krupp-Betriebsrat. Er bewohnt mit seiner Frau Mathilde eine Dreizimmerwohnung. Kaufen könnte er die auch nicht, wozu auch mit seinen 64 Jahren, meint der ehemalige Stahlkocher. „Ich lasse mich aber auch nicht räumen. Wer uns hier raus haben will, der muß sich auf was gefaßt machen.“
Haßhoff macht noch nicht einmal den Spekulanten große Vorwürfe. „Von denen kann man nichts anderes erwarten“, meint er. Er ist von Krupp enttäuscht. Über 40 Jahre habe er seine Knochen für die Stahlbarone hingehalten und nun diese Unsicherheit: „Das ist eine Riesenschweinerei von den Krupp-Managern“, schimpft Willi Haßhoff. Ein wenig Angst hat der Mann schon. Schließlich hat auch er von den Renovierungen in der Rosastraße gehört. „Und wer lebt schon gerne lange im Dreck“, sagt der Ex-Kruppianer, der am liebsten „den Namen Krupp aus allen Straßenbezeichnungen in Rheinhausen tilgen würde“.
Auch Heimlinde und Franz Fox wohnen in der Augustastraße. Sie ist 72, er 75 Jahre alt. 1954 sind sie hierher gezogen. Erstbezug, nach sieben Monaten Bauzeit. 43 Jahre auf 46 Quadratmetern. Erst mit den beiden Kindern, dann allein. Heute pflegt Heimlinde Fox ihren Mann. „Die Maloche auf der Hütte hat ihn kaputtgemacht“, sagt sie. Sie habe gedacht, sie könne in der Augustastraße wohnen bleiben, bis „wir sterben“.
Alte Menschen wie sie sind die Opfer der Spekulanten und des Kruppschen Ausverkaufs in Rheinhausen. 80 Prozent der Mieter in den bereits verkauften Krupp-Immobilien sind über 65 Jahre alt. „Wenn die Bertha Krupp noch wäre, die würde dem Dr. Zech schon die Meinung sagen“, schimpft Heimlinde Fox.
Doch der sieht den Kruppschen Immobilienbestand in Rheinhausen ganz nüchtern unter betriebswirtschaftlichem Kalkül. „Wir haben immer weniger Betriebsangehörige, also brauchen wir auch weniger Werkswohnungen“, erklärt Zech lapidar. So einfach ist das.
Aber vielleicht hat sich der Manager doch ein wenig verkalkuliert. Irmgard Chlebik wird weiter versuchen, Mieter aufzuklären und ältere Bewohner wie das Ehepaar Fox zu beruhigen. Tief sitzt die Erinnerung an die Niederlage, an den Verlust der Arbeitsplätze und an die schlechten Erfahrungen, die die Belegschaft der Hütte nach dem wochenlangen Streik vor zehn Jahren gemacht hat. Nicht wenige würden auch in der Wohnungsfrage klein beigeben.
Aber Irmgard Chlebik kann das nicht. „Wer nicht kämpft, hat bereits verloren“, sagt die einstige Betriebsrätin. Erst habe man den Kruppianern die Arbeitsplätze weggenommen, und nun sollen sie noch ihre Wohnungen verlieren. Das gehe zu weit. Sie jedenfalls wird sich nicht räumen lassen. „Wo sollen wir denn sonst hin?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen