: Besinnungsaufsatz zu einem saisonalen Küchenproblem Von Susanne Fischer
Weihnachten ist die Zeit der Besinnung. Man sollte sich, finde ich, Weihnachten wieder ausführlich besinnen, statt sich der unwürdigen Hektik in der Schlacht um den ersten Platz im Geschenke-Zieleinlauf besinnungslos zu unterziehen, heutzutage, da die ersten Tannenbäume schon vor Totensonntag dekoriert werden.
Zum Beispiel könnte man sich mehr aufs Essen besinnen. Gerade zur Weihnachtszeit, weil das Angebot groß ist und die konkurrierenden Esser noch in Kaufhausgängen feststecken, während wir schon mit dem Löffelchen gemütliche Kreise in der Weihnachtssuppe ziehen. Meine nicht repräsentative Umfrage unter Altersgenossen ergab: Fondue. Zeit ihres Lebens hätte Weihnachten der Fonduetopf auf dem Tisch gestanden. Nachdem ich sie zur Besinnung aufgefordert hatte, fiel den meisten doch noch ein, daß es in ihrer Kindheit am Heiligabend Kartoffelsalat mit Würstchen gab, „damit die Mama nicht soviel zu tun hat“. Sehr froh bin ich, daß bei uns Pasteten serviert wurden, denn der Kartoffelsalat meiner Mutter lastet mayonnaisetonnenschwer auf meiner Küchenkarriere, und wäre es in meiner Jugend zu einem einzigen Würstchen-mit-Kartoffelsalat- Weihnachten gekommen, hätte ich heute eine Weihnachtsneurose.
Niemand auf der ganzen Welt macht Kartoffelsalat so gut wie meine Mutter, nicht einmal das Christkind, und würde es meinen Weihnachtswunsch erhören, gäbe es auf der Welt ein Kartoffelsalat- Gen. Wahrscheinlich gibt es das sogar, nur ich habe meines wieder mal versehentlich von meinem Vater geerbt, der auf dem Kartoffelsalatgebiet bisher weder Lernwillen noch Fähigkeiten gezeigt hat, bloß Eßkunst. Mir dagegen wurde eine vom Material unerwiderte Neigung zur Kartoffelsalatbereitung vermacht, die mich auch heute noch zwingt, das Weihnachtsfest im Kreise meiner wahlweise Fondue oder Raclette verzehrenden älteren Verwandten zu verbringen, weil ich meiner eigenen Küche kein Kartoffelsalat- Weihnachten abringen kann. Der Fonduetopf und das Racletteöfchen waren die letzten kochtechnischen Innovationen, die jene Generation noch erreicht haben, überaus beliebte Weihnachtsgeschenke dazu. Die Fondueset-Versorgung in westdeutschen Haushalten dürfte bei 110 Prozent liegen, während der Wok als eine Art asiatische fliegende Untertasse dann nicht mehr ins Haus kam, ebensowenig die Eismaschine (damit die Mama mehr Arbeit hat).
Die Pastete, heute auch vollrohr aus der Mode, war ein allerliebstes Blätterteig-Ding, vom Bäcker vorgebacken, im Ofen gewärmt, aber natürlich mit einer selbstbereiteten Geflügelfarce gefüllt. Man wollte schließlich nicht so wenig Arbeit haben, daß es den Ruf gefährdet. Die Pastete war lecker wie Weihnachten: Nach einer war ich noch nicht satt, nach zweien war mir beinahe schlecht. Das ging dann tagelang so weiter, von Omabesuch zu Opabesuch, von Putenbraten zu Gänsebein. Das ewige Feuer des Sodbrennens wie die olympische Flamme von einer Familienfeier zur nächsten tragend, bewundere ich all meine Bekannten, die sich Weihnachten von ihren Familien und deren festtäglichen Zwangshandlungen losgesagt haben. „Und was macht ihr so?“ „Ach, nichts Besonderes. Wir treffen uns mit lieben Freunden und essen Fondue.“
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