: Der Klimagipfel im japanischen Kioto war bis zum Schluß eine Hängepartie. Nachdem die USA am Anfang klargemacht hatten, ihre Position - keine Verringerung der eigenen CO2-Emissionen - sei nicht verhandelbar, wollen sie nun den Industrieländ
Der Klimagipfel im japanischen Kioto war bis zum Schluß eine Hängepartie. Nachdem die USA am Anfang klargemacht hatten, ihre Position
– keine Verringerung der eigenen CO2-Emissionen – sei nicht verhandelbar, wollen sie nun den Industrieländern in den Minusbereich folgen.
Viele Schlupflöcher für Gipfelstürmer
„Loophole“ war das geflügelte Wort des Klimagipfels: Schlupfloch. Immer wenn sich in den vergangenen zehn Tagen auf den Fluren der Konferenzhallen in Kioto Menschentrauben bildeten, ging es meist um diese Frage. Kein Umweltschützer, der es nicht mindestens zehnmal am Tag erklärt hat, kein Journalist, der nicht wenigstens fünfmal am Tag gefragt hat: „Aber die Schlupflöcher?“
Bundesumweltministerin Angela Merkel hatte zuvor schon die Parole ausgegeben: „Das werden die kompliziertesten Umweltverhandlungen, die je geführt wurden.“ Als US-Präsident Bill Clinton im Oktober das Ziel der USA – eine Stabilisierung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase bis 2010 – beschrieb, da rechneten ihm Umweltschützer prompt seine Schlupflöcher vor. Tatsächlich könnten die Amerikaner ihre Emissionen um zwölf Prozent erhöhen, wenn sie alle Kniffs und Schliche in ihrem Protokollentwurf nutzen würden.
Die EU kam viel besser weg bei den Klimaschützern. Ihrem offiziellen Vorschlag, 15 Prozent weniger Treibhausgase bis 2010 auszublasen, wurde unterm Strich eine realistische Minderung um zehn Prozent bescheinigt. Trotzdem war es die EU, die aus irgendeinem Grunde gleich zu Anfang der Konferenz in ihr Loch schlüpfte. Dagegen machten die USA von Anfang an Druck. Schon vor Beginn hatte Clinton in Presseerklärungen verkündet, der US-Vorschlag sei nicht verhandelbar. Gleich am ersten Tag zeigten die USA, wer ihr Feind ist. Offen griff die ewig mürrisch dreinschauende US-Unterhändlerin Melinda Kimble im Plenum die EU an. Es sei ungerecht, daß die EU die Lasten so aufteile, daß einige viel reduzieren (wie etwa Deutschland), Portugal aber zum Beispiel 40 Prozent zulegen darf.
So sehr drückten die USA die Erwartungen, daß schon gestandene Umweltschützer wie Ernst Ulrich von Weizsäcker vom Wuppertal-Institut um Verständnis für Clinton warben. „Das Wichtigste hier ist, daß überhaupt ein Protokoll herauskommt.“
Die EU-Mitglieder brauchten bis Dienstag nacht, um sich endlich zu einem Strategietreffen zusammenzusetzen. Und trotzdem lahmte die Union den USA auch in den folgenden Tagen bloß hinterher. Stets fuhren die USA neue Angriffe gegen die EU. Gastgeber Japan sekundierte mit provokanten Vorschlägen, statt sich um einen Kompromiß zu bemühen, nach dem die EU 7,5 Prozent reduzieren sollte, die USA und Japan aber nur 2,5 Prozent, der Rest 5 Prozent – nach dem Motto: Wenn sie unbedingt wollen, sollen sie doch alle reduzieren.
Gleichzeitig brachten Staaten wie Kanada und Neuseeland immer neue Vorschläge ein, die das Protokoll nur noch undurchschaubarer machten, statt die vielen eingeklammerten Alternativen in dem Protokollentwurf zu beseitigen. So entstanden immer neue Schlupflöcher. Die EU blieb unter den US-Angriffen damit beschäftigt, nicht auseinanderzubrechen.
Als am letzten Freitag die USA und Neuseeland gemeinsam forderten, auch die Entwicklungsländer müßten Limits für ihren Kohlendioxidausstoß akzeptieren, und zwar schon ab 2014, liefen die Entwicklungsländer in der sogenannten G 77 Sturm; vom Übergang „vom ökomomischen zum ökologischen Kolonialismus“ war die Rede. Doch US-Unterhändlerin Kimble blieb bei ihrer Phrase: Kein Protokoll ohne eine „bedeutsame Beteiligung“ der Entwicklungsländer. Ein gemeinsames Klimaprotokoll schien in weite Ferne gerückt.
Doch als am Montag die Minister zu den Verhandlungen anreisten, gelang es den USA mühelos, die Initiative zurückzugewinnen. Obwohl Vizepräsident Al Gore nicht einmal zum Verhandeln angereist war, beherrschte er die Szene, alle wollten seine Rede hören. Neben Al Gore war etwa Großbritanniens Vizepremier John Prescott so wichtig wie der Botschafter eines Inselstaates. Für die Pressekonferenz mußten die Journalisten um Eintrittskarten anstehen, und der Presseraum D wurde eigens mit Stars and Stripes plus Redepodium umdekoriert, so daß man dachte, man säße im Weißen Haus.
Dienstag schienen dann die schlimmsten Befürchtungen wahr zu werden. Der langjährige UN- Verhandlungsführer Raul Estrada stellte ein Kompromißpapier vor, das so löchrig war „wie ein Schweizer Käse“, wie Greenpeace-Klimadirektor Bill Hare diagnostizierte. Alle möglichen Schlupflöcher zusammen entsprachen einer Erhöhung des Ausstoßes um 15 Prozent. Aus der vorgesehenen Fünf- Prozent-Reduktion bis 2010 wurden so netto zehn Prozent Plus.
Vor allem zwei Schlupflöcher schauten aus dem Papier: die Anrechnung von diversen Forstmaßnahmen auf die Reduktion und der Handel mit Verschmutzungsquoten. Das könnte etwa den USA erlauben, weiter Treibhausgase auszublasen, indem sie Rußland ihre nichtgenutzten Quoten abkaufen – und davon hat Rußland mehr als genug, seit sich mit dem Zusammenbruch des Kommunismus der Ausstoß von Kohlendioxid um rund 30 Prozent verringerte.
Beinahe hätte der fast übersehene John Prescott für die EU einem nur geringfügig besseren Zuschlag zugestimmt, so Insider, hätten sich nicht die harten EU-Staaten Dänemark, Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanien und Portugal im letzten Moment widersetzt. „Wichtig ist“, hatte Angela Merkel gefordert, „daß die Reduktionsziele auch wirklich Reduktionen bedeuten.“ Und sie hat sich damit angenehm von Ernst Ulrich von Weizsäcker abgesetzt.
Nach einer zwei Tage langen Hängepartie kamen gestern dann doch noch deutliche Minuszahlen heraus: Die EU versprachen minus acht Prozent, die USA minus sieben und Japan minus sechs. Vielleicht haben sich die USA doch mit zu vielen angelegt. Allerdings sollten Experten die Schlupflöcher lieber noch mal genau nachrechnen. Matthias Urbach, Kioto
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