: „Warum reden, wenn sie uns nicht dazuzählen“
■ In der Türkei ist die Verbitterung über die Abweisung seitens der EU groß. Nicht zuletzt auch, weil die Europäische Union offizielle Beitrittsverhandlungen mit Zypern aufnehmen wird
Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union sind an einem Tiefpunkt angelangt. Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz hat ein für heute abend geplantes Abendessen mit dem EU-Ratsvorsitzenden, Luxemburgs Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker, abgesagt. Und der türkische Außenminister Ismail Cem attackierte gestern im türkischen Fernsehen die Europäische Union mit ungewöhnlich scharfen Worten: „Warum soll ich mit denen über Politik reden, wenn sie uns noch nicht einmal als Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft in Erwägung ziehen. Warum soll ich mit denen über Zypern, Griechenland und Menschenrechte reden. Warum mit ihnen reden, wenn sie uns nicht dazuzählen, ja, wenn sie uns gar den Status eines Kandidaten verweigern.“
Diese Reaktionen sind die Folge der Hinhaltetaktik, die die EU seit Jahren gegenüber der Türkei praktiziert. Immer wieder war in Aussicht gestellt worden, daß der Integrationsprozeß der EU langfristig auch die Türkei einschließt. Dieser von türkischer Seite gehegte Traum ist ausgeträumt. Die EU will im kommenden Jahr mit zehn osteuropäischen Staaten und Zypern den Erweiterungsprozeß beginnen. Die Türkei ist als offizieller Beitragskandidat ausgeschlossen.
„Schämt ihr euch nicht“, titelte das Massenblatt Sabah (Der Morgen) in der gestrigen Ausgabe. Die Vorhaltungen gingen an die Adresse von Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Der hatte Klartext gesprochen. Auf Jahrzehnte werde die Türkei nicht Mitglied der EU werden. Und: „Es kann nicht sein, daß am Tisch die EU-Vertreter eines Landes sitzen, in dem gefoltert wird.“
Besonders heikel für die europäisch-türkischen Beziehungen ist es, daß die EU offizielle Beitrittsverhandlungen mit Zypern aufnimmt. Faktisch ist seit dem türkischen Einmarsch 1974 die Insel in einen türkischen Nordteil und einen griechischen Südteil aufgeteilt. Die Türkei will um jeden Preis einen Beitritt Zyperns – völkerrechtlich anerkannt ist die Regierung in Nikosia – verhindern, solange es nicht zu einer Lösung des Zypernkonfliktes zwischen den beiden Volksgruppen gekommen ist. Eine EU-Mitgliedschaft Zyperns hätte zur Folge, daß ein Teil des EU- Territoriums von türkischen Truppen okkupiert wäre.
Die Verbitterung in der Türkei über den EU-Gipfel in Luxemburg ist auch deshalb so groß, weil die Türkei seit Jahrzehnten die Integration sucht. Bereits 1959 hat der damalige EWG-Ministerrat ein Beitrittsgesuch seitens der Türkei empfangen. 1963 wurden die Verträge von Ankara unterzeichnet, die eine Vollmitgliedschaft der Türkei anpeilten. Seit Januar 1996 ist nach langen Auseinandersetzungen die Zollunion zwischen der EU und der Türkei in Kraft (siehe auch nebenstehenden Kasten).
Besonders ärgert es die Türkei auch, daß die osteuropäischen Newcomer sich relativ leicht den Weg in die EU bahnen, während die Türkei nach jahrzehntelanger Nato-Mitgliedschaft außen vor gelassen wird. Die Krise zwischen der Europäischen Union und der Türkei, so der ehemalige Außenminister und jetzige Parlamentspräsident Hikmet Cetin, werde auch den Einfluß der Nato in der Region erschüttern. Ömer Erzeren, Istanbul
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