piwik no script img

Grosny zerbombt und ausgebrannt

Als am 11. Dezember 1994 russische Truppen in die abtrünnige Kaukasusrepublik Tschetschenien einrückten, glaubte die Armeeführung in Moskau noch, das Problem binnen weniger Tage lösen zu können. Vollmundig erklärte der damalige Verteidigungsminister Pawel Gratschow: In zwei Stunden würden seine Fallschirmjäger die Festung Grosny nehmen. Statt dessen übersäten in der Neujahrsnacht 1995 Hunderte von Leichen die Straßen, die beim planlosen Sturm auf die Stadt und das Symbol der tschetschenischen Souveränität, den Präsidentenpalast, ihr Leben ließen. Die russische Luftwaffe bombte die tschetschenische Hauptstadt in Schutt und Asche. 300.000 Menschen verloren während des Krieges ihre Bleibe und flüchteten aus dem Land, an die 100.000 Zivilisten kamen in den Kriegswirren um.

Im Februar meldete Moskau Vollzug – Grosny war genommen. Doch gelang es den Invasoren nicht, den Widerstand auf Dauer zu brechen. Im Gegenteil. Präsident Dschochar Dudajew, dem der Zorn des Kreml galt, hatte während des Friedens erheblich an Rückhalt in der Bevölkerung eingebüßt. Kriminalität, Gesetzlosigkeit und wachsende Armut bestimmen den Alltag. Die Aggression der russischen Armee stiftete indes nationale Einheit und machte aus Dudajew einen Helden und Märtyrer, der sein seit 200 Jahren von den russischen Kolonialisten drangsaliertes Volk in die Freiheit führt.

Nach dem Fall Grosnys zog sich die tschetschenische Führung in die Berge im Süden des Landes zurück. Eine Region, in die die russischen Militärs nicht vorzudringen wagten. Massaker wie in dem Ort Samaschky offenbarten Rat- und Hilflosigkeit der Militärs und ihren Haß auf „Menschen kaukasischer Nationalität“. Obwohl die russische Armee an Stärke und militärischer Technik dem Gegner weit überlegen war, konnte sie den Kaukasusflecken auch nicht durch beispiellose Gewalt befrieden.

Ein Waffenstillstandsabkommen wurde zwar im Frühsommer 1996 unterzeichnet, nachdem Präsident Dudajew einem russischen Anschlag zum Opfer gefallen war. Gleichwohl liefen die Kampfhandlungen weiter. In einer spektakulären Aktion im August besetzten Freischärler unter der Führung Aslan Maschadows Grosny und zingelten die Besatzer ein. Moskau stellte ein Ultimatum und drohte die Stadt gänzlich vom Erdboden zu tilgen. Soweit kam es schließlich nicht. Der Krieg war verloren.

General Alexander Lebed als Chef des Sicherheitsrates setzte sich in Moskau durch und nahm Friedensverhandlungen auf. Die umstrittene Frage der staatlichen Selbständigkeit legten die Unterhändler bis 2001 auf Eis. Der Oberkommandierende der tschetschenischen Armee Aslan Maschadow wurde im Januar 1997 von einer überwältigenden Mehrheit zum neuen Präsidenten gewählt.

Die Nachwirkungen des Krieges und inneren Widersprüche lassen die Republik „Itschkeria“ dennoch nicht zur Ruhe kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen