: Das Geschäft mit dem Mond
Längst gibt es Pläne, Urlauber zum Mond zu schießen. Wann die ersten starten, steht allerdings noch in den Sternen. Doch der Traum, ins All zu reisen, wird schon jetzt geschürt und kräftig vermarktet. Die Japaner präsentierten bereits eine Touristenrakete ■ Von Marc Bielefeld
Der Mond hat auf der Erde schon immer für Trubel gesorgt. Wenn er voll ist, macht er Menschen süchtig, treibt einige in die Schlaflosigkeit, manche gar in den Wahnsinn. Er hat Menschen zu Wölfen werden lassen, Indianer dazu veranlaßt, bezaubernde Tänze zu kreieren, und alte Kulturen, Kinder zu opfern. Mythos Mond. Dafür, daß er nur ein Sechstel der Erdanziehungskraft besitzt, hat der Trabant die Menschen mächtig in seinen Bann gerissen.
Der Traum vom Raum birgt ein großes Potential, denn allein der Gedanke, die Erde einmal selbst vom Weltall aus zu betrachten, fasziniert. Als der Apollo-11-Astronaut Neil Armstrong 1969 als erster Mensch den berühmten kleinen, aber doch so großen Schritt ins Mare Tranquillitatis auf der Vorderseite des Erdtrabanten machte, klebten weltweit 528 Millionen Zuschauer an den TV- Schirmen. Eine Quote, von der selbst RTL immer nur träumen wird. Und auch heute, im politikverdrossenen Mars-Age, würden viele Menschen den Heimatplaneten gern verlassen: 70 Prozent der Japaner geben an, ins All zu wollen, von den Amerikanern sind es knapp zwei Drittel, von 100 Deutschen immerhin noch 43.
Die Zahlen sprechen für sich, und erste Analysen von Marktforschern gehen davon aus, daß es im Jahr 2025 bis zu 25 Millionen buchungswillige Raumtouristen geben könnte. Was also liegt näher, als eine Fachtagung einzuberufen, um zu erörtern, ob man zahlende Zivilisten nicht tatsächlich zum Mond oder wenigstens in einen erdnahen Orbit bringen könnte. So trafen sich Raumfahrtingenieure, Unternehmensberater und Freizeitexperten in Bremen zum ersten internationalen Kongreß über Weltraumtouristik, um Visionen zu diskutieren, wie man Maiers und Müllers gewinnbringend in den luftleeren Raum hochjagen könnte.
Antriebs- und Materialkunde wurden ebenso thematisiert wie eine Mondumrundung im Space- Shuttle oder die Möglichkeit, ein Weltraumhotel in die Erdumlaufbahn zu transportieren. Ein solches Modell existiert bereits auf Reißbrettern japanischer Konstrukteure. 240 Meter hoch, mit einem Durchmesser von 120 Metern, würde dieser Sternentempel – man bedenke nur die Aussicht – jedem irdischen Fünf-Sterne-Schuppen glatt die Show stehlen. Das reifenförmige, sich drehende Ding könne bereits in 20 Jahren durch den Orbit treiben. Die Mondbesiedelung plant das japanische Bauunternehmen Obayashi, dessen Touristenrakete „Kankoh-maru“ bereits vorgestellt wurde.
Auch die Zahlenkünstler trugen ermutigende Berechnungen vor. Schon bei 1.000 Starts im Jahr und vorausgesetzt, man quetschte 150 Passagiere in ein technisch entsprechend gerüstetes Shuttle, käme man in den Bereich eines 50.000-Dollar-Tickets pro Person. Damit war den Phantasien freier Lauf gelassen, und schon sahen die Touristikmanager glückliche Nobel-Neckermänner scharenweise in kosmische Karaokebars schweben mit Panoramablick mal auf Australien, mal aufs Eismeer, mal auf Mallorca.
Allen erdmüden Raketenfreaks sei hier dennoch gesagt: Trotz kühner Ideen und technischer Machbarkeit wird es noch eine Weile dauern, bis das All katalogreif sein wird. Indes verspricht die Faszination der Raumfahrt bereits auf Erden ein gutes Geschäft. Beispielsweise das Buch „Reisen zum Mond“ von Werner Küstenmacher. So ein Luna-Guide ist eben ein Hingucker. Da blättert man schon mal rein, nachdem der tausendste Adria-Führer, das hundertste Mallorca-Special und die x-te X-Mas-Shopping-Reise nach New York nur noch langweilen. Autor Küstenmacher verspricht jedoch nichts vom Himmel, sondern unternimmt amüsiert eine Bestandsaufnahme der modernen Raumfahrt.
Neben Anekdoten, Astronautenzitaten, Geschichte und Fakten zum Thema rücken leichtverdauliche Comics das Buch auf den Boden der Tatsachen zurück. Küstenmacher baut lediglich die Brücke zwischen Science-Fiction und Realität, beschreibt „ganz realistisch, wann der Mondtourismus starten könnte“. Außerdem gibt der im Grundbuchamt von San Francisco eingetragene Mondgrundstücksbesitzer schon mal nützliche Tips, wie man sich auf unserem Trabanten orientiert, das Unterdruck-WC bedient und was beim Golfen im Mondstaub zu beachten ist. Doch wichtiger als die Prognose, ins All zu reisen, waren dem Autor und der Reisebürokette Thomas Cook, Co-Herausgeber, wohl das Kalkül, eine letzte Lücke im Segment der Reiseführer zu schließen. Und somit irgendwo ein prominentes Regalplätzchen im Universum des Schwachsinns deutscher Großbuchhandlungen zu ergattern. Vielleicht sogar direkt neben der piepsenden Kasse.
Enthusiasten können sich auch ins eigens von Thomas Cook eingerichtete „Moon Register“ einschreiben lassen, zum Nulltarif. Die erste und einzige Warteliste für Pauschalreisen zum Mond erhebt allerdings keinen Anspruch auf Verbindlichkeit. Die ausgebuffte Marketingvariante hat ihren Weg zur Masse gefunden: 6.000 haben sich auf dieser einmaligen Reservierungsliste des Veranstalters bereits vormerken lassen, um im Ernstfall die ersten zu sein. Die Aspiranten erhalten dafür ihr persönliches Zertifikat mit einem bläulich schimmernden Mond drauf. Kundenköderungs-Odyssee Nummer 2001 in Zeiten des Ballermann- Tourismus.
Daß Zivilisten ein Zusatzgeschäft sein können, hat auch die weltweit darbende Raumfahrtindustrie selbst erkannt. Es gibt bereits mehrere von Raumfahrtbehörden ins Leben gerufene Erlebnisparks bzw. spezielle Programme, die jedermann erlauben, ein kleines Astronautentraining zu absolvieren.
Im U.S. Space & Rocket Center Huntsville, Alabama, etwa. In einem dreitägigen Programm der Space Academy werden die Teilnehmer auf eine Shuttle-Mission vorbereitet: starten, andocken, Satelliten zusammenschrauben, absetzen, landen. Ein Shuttle-Nachbau hebt zwar nicht ab, doch in dem Multi-Axis-Trainer wird man entsprechend einem echten Start ordentlich durchgebeutelt. Im „Five Degrees of Freedom Chair“ werden fünf von sechs Bewegungsachsen in der Schwerelosigkeit simuliert. Selbst Unsportliche und Übergewichtige können hier laut Reiseführer gefahrlos rotieren.
Das Space-Camp Titusville am Nasa Kennedy Space Center in Florida bietet neben einem Imax- Kino einen 3D-360-Grad-Flugsimulator und eine Zero G Wall (G = Gravity = Schwerkraft), die Schwerelosigkeit simuliert. Von der Aussichtsterrasse des Camps lassen sich schließlich die Starts des echten Space-Shuttle mitverfolgen. Im Space-Camp Mountain View in Kalifornien locken die Veranstalter mit einer noch kurioseren Einrichtung. Auf einem kleinen Stück künstlicher Marsoberfläche darf jeder, der lange genug ansteht, den Marsrover fernsteuern.
Einen kleinen Schritt für Rußlands Marktwirtschaft, aber einen großen Schritt für hartgesottene Space-Freaks erlaubt die Star City Moskau. Auch hier versucht man leidlich, mit der Faszination Raumfahrt zivile Rubel lockerzumachen. Doch geht es bei den Russen schon etwas konkreter zur Sache. Zwei Wochen lang kann hier Kosmonautenalltag geschnuppert werden. Im Kontrollzentrum Kaliningrad/Koroljow wird man per Direktschaltung mit der „Mir“ verbunden, wonach man sich von Rekordkosmonaut Waleri Poljakow höchstpersönlich darüber unterrichten lassen kann, wieviel Wodka denn nun wirklich in der krisengebeutelten Raumstation konsumiert wird. Nach Kurzausbildung im Juri-Gagarin-Zentrum, Gesundheits-Check und Anprobe eines Raumanzugs geht es anschließend zu einer ausgeräumten Iljuschin IL-76MDK.
Auf 6.000 Meter angelangt, steigt die Maschine im 45-Grad- Winkel, wobei die Passagiere mit doppeltem Körpergewicht in die Sitze gepreßt werden. Der als Kotzbomber bekannt gewordene Jet fliegt anschließend eine scharfe Parabolkurve, bevor er mit fast Höchstgeschwindigkeit in den Sinkflug stürzt. Für 25 Sekunden schweben dann die fassungslosen Insassen aus aller Welt in der drei Meter hohen gepolsterten Kabine umher. Jetzt sind sie endlich wirklich schwerelos. Kosten: 7.500 Dollar inklusive Anreise. Das Geheimnis, wann denn nun der erste zahlende Tourist zur „Mir“ darf, wird dafür allerdings auch nicht gelüftet.
Das Weltall – endlose Weiten und Raum für endlose Phantasien. Die erste fruchtbare Symbiose aus Raumfahrt und Touristik findet derweil auf der Erde statt. Und bis der erste Club Aldiana zur Sauerstoffkur ins All lädt, muß noch einiges geklärt werden. Selbst nach Jahrzehnten der bemannten Raumfahrt und etlichen Forschungsarbeiten sind die Langzeitauswirkungen der Schwerelosigkeit auf Gehirn, Rückenmark und Nervensystem noch weitgehend unbekannt. Auch die regelmäßig auftretende Allkrankheit mit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen hinterläßt am Erholungswert eines erdfernen Traumurlaubs noch Zweifel.
Doch auch daran wird gearbeitet. Im April 1998 wird an Bord der „Columbia“ zunächst ein Forschungszoo in den Weltraum geschossen. Ratten, Mäuse, Grillen, Schnecken, Kröten und sogar Schwertfische sollen dann während eines zweieinhalbwöchigen Fluges auf Herz und Nieren geprüft werden. Unter Wissenschaftlern gilt das Unternehmen als Meilenstein auf dem Weg zu bemannten Langzeitflügen. Bis dahin wird der Mond weiterhin seine geheimnisvollen Kräfte auf uns wirken lassen. Und dabei können wir ihm sogar gratis zuschauen. Am abendlichen Firmament, falls es nicht gerade wieder bewölkt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen