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"Viele Blindgänger gekommen"

■ Gespräch mit Nationaltorhüter Klaus Merk von den Berlin Capitals über die Situation im deutschen Eishockey, die Lage in der Deutschen Eishockey-Liga DEL und die Zukunft der Nationalmannschaft

Während junge Talente wie Marco Sturm (San Jose Sharks) in der NHL für Furore sorgen, gerät die deutsche Nationalmannschaft zunehmend ins Abseits. Beim Deutschland Cup gab es herbe Niederlagen, zu Beginn der Olympischen Spiele muß das Team auf seine NHL-Cracks verzichten und die Vorbereitung für die WM im Mai in der Schweiz wurde durch eine Verlängerung der DEL-Saison, deren Vorrunde am Sonntag endete, amputiert. Fatal für Bundestrainer George Kingston, dessen WM-Kandidaten Spielpraxis fehlt, weil sie bei ihren DEL-Klubs selten zum Einsatz kommen. Klaus Merk (30), Keeper der Berlin Capitals, hat die Entwicklung im deutschen Eishockey seit vielen Jahren hautnah verfolgen können.

taz: Sie müssen sich einem verlorenen Häuflein zugehörig fühlen. Den deutschen Spielern, die in der DEL einen Stammplatz haben.

Fakt ist, daß deutsche Spieler in der DEL immer weniger werden. Und das wird wahrscheinlich auch in der Zukunft so sein, weil die Vereine das so wollen. Trotzdem muß sich jeder Spieler beweisen, der zur Nationalmannschaft fährt, weil da das Niveau natürlich noch höher ist. Jeder, der dort ist, ist zu Recht dort.

Ist das Niveau in der DEL spürbar gestiegen?

Jein. Es ist enger geworden. Es gibt nicht mehr nur zwei oder drei Topmannschaften, mittlerweile sind es fünf, sechs. Eigentlich kann jeder gegen jeden gewinnen. Es ist aber fraglich, ob deswegen das Niveau um eine Klasse besser geworden ist. Es sind mit Sicherheit auch viele Blindgänger dazugekommen. Natürlich auch viele, die sehr, sehr gut sind. Im ersten Jahr war die Einkaufspolitik extrem. Das wird sich wahrscheinlich etwas beruhigen, aber der Weg wird so weitergehen. Die Qualität ist gestiegen, dennoch ist das Prädikat „beste Liga nach der NHL“ noch um einiges zu hoch gegriffen.

Es heißt, die deutschen Nachwuchsspieler seien zu schlecht ausgebildet, um internationales Top- Niveau zu erreichen.

Grundsätzlich ist es wohl schon so, daß die Ausbildung nicht so gut ist wie in Finnland oder Schweden. Diese Länder haben einfach einen höheren Ausstoß an erstligatauglichen Spielern. Der Pepi Heiß oder der Stefan Ustorf oder ich – ganz verschiedene Jahrgänge – setzten sich durch. Es fehlt aber die breite Masse.

Sie leben also hauptsächlich von Ihrem Talent?

Talent zu haben ist sicherlich kein Fehler. Trotzdem kommt man heute mit weniger Talent und mehr Arbeit weiter.

Dann wäre die DEL doch die richtige Aufgabe für Leute, die sich beweisen müssen und wollen?

Der Sprung aus dem Juniorenbereich in die oberste Liga ist nie einfach. Bei mir selber ging der Weg auch über die zweite Liga in die Bundesliga. Um sich weiterzuentwickeln, müssen junge Spieler zum Einsatz kommen. Man kann alles trainieren, aber das Wichtigste lernt man eben im Spiel: daß Fehler bestraft werden. Trotzdem muß man diese Fehler machen, um sich zu verbessern. Mit 20 denkt man: So gut wie die mit 30 bin ich auch. Ist man auch, aber eben nur zehn Spiele lang. Das reicht nicht. Man muß in der Lage sein, das höchste Niveau 30 Spiele lang zu halten. Da hilft nur spielen, spielen, spielen.

Was wird aus der Nationalmannschaft? Stürzt sie ab?

Man muß klipp und klar sagen: Die WM spielen 12 Mannschaften, aufgeteilt in zwei Hälften. Zur ersten gehören wir nicht – und in der zweiten Hälfte müssen wir zwischen sieben und elf landen. Unter optimalen Voraussetzungen ist auch mal ein kurzfristiger Sprung nach oben drin. Aber auf Dauer können wir kein absolutes Spitzen- Eishockey bieten.

Die deutschen Spieler in den DEL-Klubs werden aber immer weniger ...

... und viele sind nur dabei, damit man die fünf lizensierten Spieler in der Mannschaft hat. Die werden in wichtigen Situationen nicht so häufig eingesetzt. Ich glaube schon, daß es Probleme gibt, weil die Generation zwischen mir mit 30 und Didi Hegen mit 36 ausstirbt. Und die Jungen, die teilweise sehr gut sind, probieren ihr Glück in der NHL. Sollen sie auch – zurückkommen können sie immer noch. Viele der Altersstufe dazwischen müssen eine Klasse tiefer spielen – oder haben einfach aufgegeben.

Das heißt?

Das heißt, für die Olympischen Spiele und für die nächste WM wird es noch langen, vielleicht auch für die nächsten zwei, drei Jahre, aber dann ... ich hoffe es nicht, aber ich glaube, daß wir dann richtige Probleme bekommen international.

Kann man die Entwicklung stoppen?

Da wäre schon was zu ändern. Bloß, wenn man das sagt, kriegt man wahrscheinlich eine Strafe von der DEL-Führung. Man kann nicht die eigenen Leute im eigenen Land limitieren und benachteiligen. Das ist unmöglich. Das gibt es wahrscheinlich nur in Deutschland. Man kann ja sagen, es dürfen zehn Ausländer spielen. Dann kann der Verein 15 verpflichten und die, die schlecht spielen, sitzen eben auf der Tribüne. Wie es in Italien im Fußball war. In zwei, drei Jahren wird es schwer sein, für jedes DEL-Team fünf Deutsche zu finden, die die nötige Klasse haben. Der Weg kann nur in die andere Richtung gehen. Daß es funktionieren kann, zeigt die erste Liga, die mit vier EU-Ausländern und zwei Ausländern spielt.

Welchen Einfluß haben die arrivierten Nationalspieler?

Wir haben die Spielergewerkschaft VdE, die von relativ vielen Spielern unterstützt wird. Man müßte aber noch mehr Spieler zusammenbringen, die sich geschlossen hinstellen. Das Problem ist, daß viele Spieler Existenzangst haben, es sie aber dann so oder so erwischt. Nur wenn man zusammenhält, kann man für viele – auch für die, die danach kommen – wirklich was bewegen. Da ist im Endeffekt zuwenig passiert.

Es heißt, die deutschen Spieler hätten zuviel verdient.

Da kann ich nur lachen. Inzwischen hat fast jede Mannschaft zwischen 25 und 30 Spieler. Das ist mit Sicherheit nicht billiger als mit den 20, 21 Spielern, die man früher gehabt hat. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Man meint, man könne sich mehr Spieler leisten, weil keine Ablösesummen mehr fällig sind – deswegen ist der Etat beispielsweise in Berlin dieses Jahr wieder um eine halbe Million höher. Es liegt nicht an den deutschen Spielern, die zuviel verdienen, das ist nur eine Ausrede. Und wenn man die Liga richtig vermarktet hätte, dann hätte es nicht so viel Ärger gegeben und jeder einzelne hätte profitiert. Nicht nur finanziell, sondern auch, was das Image betrifft.

Glauben Sie, daß der Konkurs von Kaufbeuren ein Einzelfall bleibt?

Nur, wenn man alle Vereine prüfen würde wie Wirtschaftsunternehmen. Dann würden höchstens fünf bis zehn Vereine anfangen dürfen, unter Auflagen – von daher schon unmöglich. Aber das ist im Endeffekt wieder typisch für das deutsche Eishockey, typisch für die DEL. Man hat die Rücklagen eingeführt, Auflagen beschlossen, damit so etwas wie in Kaufbeuren nicht passiert. Und dann passiert es eben doch wieder. Interview: Albert Hefele

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