: Willkommen, Bernstein- und Tomayer-Jahr! Eine Neujahrsansprache von Wiglaf Droste
1997 ist um und vorbei, und das ist gut, denn am Ende zog es sich doch sehr. Zäh wurde das Jahr nicht zuletzt durch die schier endlosen Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag von Robert Gernhardt am 13. Dezember 1997: Kaum waren im Sommer Gernhardts „Lichte Gedichte“ erschienen, trommelte bereits sein Verleger Gerd Haffmanns, daß kein Oropax mehr half.
Die Penetranz- und Penetrationsnummer „Steter Tropfen höhlt den Stein“ aber hatte Erfolg, und in allen großen Feuilletons des Landes wurde Gernhardt zur Chefsache erklärt. Mancher Rezensent mußte im Laufe des Gernhardt-Jahrs gleich ein halbes Dutzend mal ran; das tat den Texten nicht gut, und vielen merkte man die Mühe an: Hier versuchte der Literaturbetrieb die Sünden, die er an Robert Gernhardt begangen hat, nachträglich auszugleichen – aber vergeigt ist vergeigt.
Gernhardt, jahrzehntelang grundfalsch als Spaßkaschperl einsortiert, sollte nun aufs Treppchen des elder Poeten. Ein Lorbeerkranz hätte noch gefehlt bei der Farce, aber wenn es um Humor geht in Deutschland, muß man keine Ahnung haben – es reicht, selbst keinen zu haben, um mitschnacken zu dürfen.
Es gibt viele Möglichkeiten, einen Schriftsteller zu erledigen; Vollumarmung durch den Betrieb und doofes Lob sind zwei besonders sinistre Varianten – zumal bei einem Dichter, dem Geltung einiges gilt. So empfahl Reich-Ranicki im „Literarischen Quartett“ die „Lichten Gedichte“ mit der Begründung, sie seien sowohl für Leute geeignet, die gerne Gedichte läsen, als auch für solche, denen Gedichte sonst eher nichts sagten. Heimtückischer ging es nur noch im Hamburger Lokalteil der taz zu; hier wurde Gernhardt für die „Trilogie des laufenden Schwachsinns“ gefeiert. Das war nicht schlecht ausgeteilt – die „Trilogie“ ist von Eckhard Henscheid –, aber die Berichtigung tags drauf war sogar noch elaborierter: Als Titel des zweiten Bands der „Trilogie“ wurde „Geht in Ordnung – sowieso“ genannt – statt „Geht in Ordnung – sowieso –– genau –––“. Manchmal ist richtig der Wurm drin.
Jetzt aber ist das Gernhardt- Jahr aus und kann nicht mehr lästig fallen – statt dessen wird schön gefeiert. Denn 1998 werden zwei Dichter 60 Jahre alt, die Gernhardt gleichrangig sind: F.W. Bernstein alias Fritz Weigle am 4. März und Horst Tomayer am 1. November. Auch wenn mir klar ist, daß es naiv, ja hoffnungslos ist, von etwas so Ahnungslosem, Verludertem und in weiten Teilen schlicht Steinofenbrotdummem wie dem literarischen Betrieb Gerechtigkeit zu fordern, tu ich's hiermit trotzdem:
Rezensenten, ihr seid so was von unter Schuh tief unten und fühlt euch so hoch oben.
Wollt ihr nicht nur ein Püpschen sein, so müßt ihr Tomayer und Bernstein lesen und dann loben!
Nein? Das glaubt ihr nicht? So nehmt und lest:
Kafka liebt die Sprache und
hat dazu auch allen Grund
dichtet F.W. Bernstein, und Horst Tomayer stiftet diesen Leitstern:
Lieber mit der Sprache spielen
Als gedankenlos mim Glied
Zwar kannst du per Glied mehr fühlen
Aber Ruhm kannst du erzielen
Nur auf sprachlichem Gebiet.
Ja, das ist wahr – und deshalb wird 1998 ein wunderbares Tomayer- und Bernstein-Jahr.
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