: In der Honigspiralfolterfalle
Politisch nicht unbedingt korrekt: Die Retrospektive mit Werken von Blalla W. Hallmann im GEHAG-Forum präsentiert den 1997 verstorbenen Künstler als Sonderling, der oft genug selbst am Abgrund stand ■ Von Michael Nungesser
Ein Strichmännchen balanciert auf einem dünnen Seil durchs All, ein anderes hängt kraftlos an einem Strick, ein drittes ankert am Sichelmond, unter ihm schippert ein Sarg („Ist die Not am größten, ist die Rettung auch nicht weit“). Urheber dieser bitterbösen, wie auf einer Zirkusbühne grell ausgeleuchteten Szenen und sarkastischen Kommentare, dieser an Comics erinnernden Hinterglasbilder ist Blalla W. Hallmann. Er hat sich wohl selbst mit diesen erbärmlichen und erbarmungswürdigen Kreaturen identifiziert.
Hallmanns letzte Ausstellung in Berlin, 1992 von der Neuen Gesellschaft für Bildende Künste im Künstlerhaus Bethanien veranstaltet, trug den Titel „Heim, mir reicht's“. Sie kam einem polit- ästhetischen Kettensägenmassaker gleich: eine blasphemische Abrechnung mit Faschismus, Kapitalismus, Imperialismus, Klerikalismus & Co. Vergangenen Sommer ist der Künstler nach langer, schwerer Krankheit 56jährig gestorben. Die jetzige Ausstellung im Forum der Gemeinnützigen Heimstätten AG (GEHAG), noch zu Lebzeiten mit Hallmann abgesprochen, ist somit zu einer posthumen Würdigung geworden, bei der es Organisator Karl-Hans Schumacher gelungen ist, vor allem zahlreiche bisher selten gezeigte Werke aus Privatbesitz zusammenzubringen.
Die Retrospektive mit Gemälden verschiedenster Techniken und einigen Skulpturen verdeutlicht, wie vielschichtig und komplex das Werk von Hallmann angelegt war. Der aus dem Riesengebirge stammende Künstler war in den Sechzigern Mitbegründer von Hoffmanns Comictheater, lebte eine Zeitlang in der Hippiehochburg San Francisco, später arbeitete er vor allem in Brühl und Köln. Er hatte an den Kunsthochschulen in Düsseldorf und Nürnberg gelernt, sich aber nie akademisch verbilden lassen, sondern war Außenseiter mit dem Habitus des Autodidakten geblieben.
Für Hallmann, das Kriegs- und Nachkriegskind, hatte Kunst nicht zuletzt therapeutische Funktion – gegen persönliche Krisen, Räusche, Psychosen. Er hat sich beeinflussen lassen von Hieronymus Bosch, James Ensor und Alfred Kubin, von Art brut, der naiven sowie der surrealen Kunst, von Karikatur und Agit-Prop. Und doch sind aus dieser ästhetischen Aneignung am Ende ganz eigene Bildwelten entstanden. Konstant ist die Auseinandersetzung mit existentiellen, ja religiösen Fragen – vor allem mit dem Tod.
Hallmann schuf einen künstlerischen Kosmos, der verschiedenste bildnerische Techniken und Stile vereint. Expressive Bilder in leuchtenden Farben und ornamental anmutenden einfachen Formen aus den frühen sechziger Jahren führen paradiesische Traumwelten vor, in denen Menschen, Tiere und Pflanzen harmonisch koexistieren. Zwei große Gemälde aus den siebziger Jahren zeigen biblische Themen als phantastisches Welttheater: „Jakobs Kampf mit dem Engel“ und „Halluzination des Johannes auf Patmos“. In den Achtzigern entstehen jene vielfigurig- grotesken Szenarien, die mal wütend, mal zynisch gegen jegliche Political Correctness Amok laufen – Bilder wie etwa „Die ,wundersame‘ Abspeisung der ,dritten Welt‘“, eine Tusche- und Buntstiftzeichnung, die die „Kloake Vatikanum“ als scheißenden Hintern in den Himmel hebt, während unten ausgemergeltes Volk sich am herabfallenden „süßen Manna“ labt. Demgegenüber wirkt ein Gemälde wie „Das Banana-Drama“ von 1991, das die gekreuzigte, perlengekrönte Tropenfrucht zum wendezeitigen Objekt der Anbetung „adelt“, beinahe besänftigend.
Doch neben artistisch verpackten Ekelszenen, die aller Scheinheiligkeit den letzten mildtätigen Schleier vom Fettleib reißen, stehen lyrische zart-figurale Kompositionen wie „Ich denke an dich, aber du kommst nicht richtig durch“, die seltsame „Honigspiralfolterfalle“, das fast abstrakte Suchbild „Die heilige Familie auf der Flucht versteckt sich im Unterholz“ oder das eher komische denn erschreckende Bild zweier Sensenmänner auf Einrädern: „Ein Tod folgt dem anderen“.
Geradezu halluzinatorisch erscheinen Landschaftsbilder wie „Die Stunde meiner Poltergeister“, „Melancholie im September“ oder „In meinem Tiergarten ist auch Platz für meine gefiederten Freunde, die Engel“. Es sind ungeheuer verdichtet gemalte, düstere, von bengalischen Lichtern durchzuckte und von Dämonen bevölkerte Himmelhöllenszenarien, die Hallmann einmal mehr als Künstler ausweisen, der oft genug selbst am Abgrund stand.
GEHAG Forum, Mecklenburgische Straße 57, Wilmersdorf, bis 5.März
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