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Draht und Zange für die Wissenschaft

■ Der Bremer Physiklehrer Holger Gutjans sammelte unter Meeresforschern im Indischen Ozean Erkenntnisse für fächerübergreifenden Unterricht. Sein Fazit: „Wir sollten in der Schule mehr probieren“

„An Bord ist alles ganz anders als das, was wir den Leuten in der Schule verkaufen“. Diese Erkenntnis hat der Bremer Physik- und Mathematiklehrer Holger Gutjans im Indischen Ozean gesammelt. Auf dem Forschungsschiff „Sonne“war der Pädagoge zwei Wochen lang mit Meeresforschern der Bremer Universität auf wissenschaftlicher Expedition.

Er bewachte im Schichtdienst die Meßinstrumente, griff zu, wenn schweres Bohrgerät an Bord zu bringen war und machte sich so gut wie möglich nützlich.

Seine Erfahrungen will er jetzt seinen Kollegen an der Schule für Erwachsenenbildung und natürlich auch seinen Schülern vernmitteln. „Es ist schließlich interessant, wie die Daten gewonnen werden, mit denen wir dann im Unterricht arbeiten“.

In der Praxis auf dem Schiff seien Klebeband, Draht, Zange und Improvisationstalent unverzichtbar, hat Gutjans gelernt. „Wir sollten in der Schule auch mehr ausprobieren und dann darüber reden, wenn etwas nicht geklappt hat. Das wäre realitätsnäher.“

Der Kontakt zu dem Geophysiker Heinrich Villinger, der die Expedition zur Erforschung von heißen Meeresquellen leitete, hatte sich bei einem dreitägigen Fortbildungsseminar während der letzten Sommeruniversität ergeben. „Der Professor kam herein und fragte, wer mit auf Expedition fahren wollte“, erinnert sich Gutjans. Er fühlte sich persönlich angesprochem. Nach einigem Hin- und Her mit der Bildungsbehörde wurde die Reise schließlich genehmigt, die Universität zahlte den Flug nach Oman und die Kollegen übernahmen die Vertretung.

Die maritime Weiterbildung ist Teil einer Offensive gegen den herkömmlichen Häppchenunterricht, die Lehrer Gutjans und zunächst vier seiner Kollegen aus den naturwissenschaftlichen Fächern in der Gymnasialphase der Erwachsenenschule vor fünf Jahren angegangen haben. Das Konzept des ICE (integriertes Curriculum Eingangsphase) genannten Projektes ist einfach, aber für die herkömmliche Schulstruktur revolutionär: Unter einem übergreifenden Thema wie „Raumschiff Erde“werden die Fächer Biologie, Physik und Chemie zusammengelegt, um Fragen wie nach der Photosynthese, dem Treibhauseffekt oder dem Ozonloch zu klären. „Wir wollen Modelle für Zusammenhänge schaffen und nicht nur das Weltbild der einzelnen Disziplinen lehren“, sagt Gutjans. Und: „Wir müssen an der Schule ja nicht mehr Physik bis zum Vordiplom vermitteln, solange die Leute Zusammenhänge begreifen.

Das bedeutet auch, daß Physiklehrer Gutjans bisweilen biologische Kenntnisse vermitteln und „auch mal ein Reagenzglas anfassen“muß. Weiterbildung ist da unerläßlich. „Die zerhackte Struktur an den Schulen ist auch ein Stück Einfachheit für die Lehrer“, sagt Gutjans.

Am Anfang eines jeden Kurses stehe eine Sammlung der widersprüchlichen Aussagen der Wissenschaftler etwa zum Ozonloch oder zum El Nino, um die Vielschichtigkeit dieser Phänomene klar zu machen.

Beim fächerübergreifenen Unterricht wird dann der herkömmliche Schulstoff mit eingebaut. Auf diese Weise sei es einfacher, ein solches Experiment starten zu können. Wäre ICE als offizieller Schulversuch gestartet worden, hätte es den beteiligten Pädagogen zu lange gedauert.

Allmählich haben sich Gutjans und seine Mitstreiter in ihrer Schule durchgesetzt. Seit dem Sommer werden 12 weitere Kollegen aus den Naturwissenschaften schulintern für den fächerübergreifenen Unterricht fit gemacht. „Das ist für viele ein Kulturschock“, sagt Gutjans. Er hält den Kontakt gerade zu den Geophysikern an der Universität für sinnvoll.

Denn Phänomene wie die Erwärmung der Ozeane durch heiße Quellen, die an den Nahtstellen von Kontinentalplatten unter dem Meeresoberfläche austreten, sind nur durch den Rückgriff auf verschiedene Disziplinen zu erklären.

Joachim Fahrun

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