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■ GastkommentarEine Frage des Willens

Am 18. März 1998 ist es genau 150 Jahre her, daß Berliner Arbeiter und Bürger im Kampf gegen die preußische Obrigkeit die bürgerlichen Freiheitsrechte wie Versammlungs- und Redefreiheit errungen haben. Statt diesen demokratischen Aufbruch zu feiern, ist das, was der Senat plant, mehr als dürftig. Während die baden-württembergische Landesregierung über 5,2 Millionen Mark für Ausstellungsobjekte ausgibt, denkt der Senat über die Anbringung einer Gedenktafel für den Preußischen Landtag nach. Und nun auch noch das: Die Verkehrsverwaltung will die vom Bezirk Mitte beschlossene Benennung des Platzes vor dem Brandenburger Tor in „Platz des 18. März 1848“ aus formalen Gründen verhindern. Es drängt sich der Verdacht auf, daß der Senat grundsätzlich Schwierigkeiten mit dem Datum hat. Die 48er Revolution in Berlin war keine gesittete Bürgerveranstaltung im Saale, sondern eine blutige Volksrevolte, bei der über 200 Menschen ihr Leben gelassen haben. Steinewerfer und Barrikadenkämpfer zu ehren ist allemal schwieriger, als an ein Professorenparlament zu erinnern.

Es stellt sich damals wie heute die Frage, ab wann die Verhältnisse so unerträglich sind, daß Gewalt gegen ein Unterdrückersystem als legitim anzusehen ist. Verkehrssenator Klemann versteckt sich hinter Formalien, wenn er nun auf die Ausführungsvorschriften zum Straßengesetz verweist, um einen „Platz des 18. März“ abzulehnen. Dieselben Vorschriften hat derselbe Senat 1995 ignoriert, als es darum ging, einen Teil der Lindenstraße in Axel-Springer-Straße umzubenennen. Und vor wenigen Monaten einigte sich derselbe Senat mit dem Bezirk Tiergarten und der Bundesregierung auf neue Straßennamen im künftigen Parlaments- und Regierungsviertel – ohne Beachtung der Ausführungsvorschriften. Das ist auch kein Wunder, denn die Paragraphen, auf die sich Klemann beruft, sind schließlich von ihm selbst gemacht – und können daher auch von ihm geändert oder eben nicht beachtet werden. Jürgen Karwelat

Der Autor ist bündnisgrüner Abgeordneter in Wilmersdorf und Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt

Bericht Seite 22

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